Tanz ohne Bewegung

Der Gejagte, der Dorftrottel, das Monster: Juan Kruz de Garaio Esnaola ist an der Schaubühne der Tänzer mit dem melancholischen Gesicht, als Musiker lässt er Windmaschinen drehen und aufziehbare Tiere trommeln. Ein Porträt

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Die meisten Menschen werden müde von der Arbeit. Nicht so Juan Kruz de Garaio Esnaola: Er scheint über das alchemistische Geheimnis zu verfügen, wie man Arbeit in Energie umwandelt.

Zur Zeit ist der Baske mit dem Namen, in dem eine ganze Legende Platz zu haben scheint, in viele Projekte verwickelt, denn „nur eine Sache macht mich nicht glücklich“. Für die Sängerin Cora Frost entwirft er die Choreografie für ein Musical. Arte hat ihn, der schon mit einem Tanzvideopreis ausgezeichnet ist, mit einem Tanzfilm beauftragt, der in Paris über einen surrealistischen Stoff entsteht. Mit den belgischen Partnern von Sasha Waltz, dem „Ballet C. de la B.“, entwickelt er ein Stück für vier Tänzer. Demnächst wird er an der Folkwang Schule in Essen zwei Wochen unterrichten. Dabei tanzt er in fast allen Produktionen von Sasha Waltz und Luc Dunberry und hat für einige die Musik geschrieben. Denn de Garaio Esnaoloa ist auch Musiker: Seine Konzerte gehören zu den Geheimtipps der Schaubühne.

Als er 1996 zu der Gruppe von Sasha Waltz & Guests stieß, war er gerade dreißig und musste sich für die „Allee der Kosmonauten“ in einer doppelt so alten Rolle, als Vater der Familie, neu erfinden. Er tat es mit einer stoischen Komik, als wäre Buster Keaton sein Vorbild: selbst noch auf dem Kopf stehend, Ziehharmonika spielend und dabei von seinem Sohn wie ein Holzkreisel gedreht, verzog er keine Mine. Ein guter Vater lässt eben viel über sich ergehen.

Lange schien es, als sei der Tänzer mit dem melancholischen Gesicht zum Opfer des Ensembles auserkoren. 1998 arbeitete Sasha Waltz mit Moskauer Tänzern zusammen: In dem mythisch aufgeladenen Stück wurden sehr schreckliche Dinge mit Juan gemacht. Er war das gejagte Tier, das Opfer medizinisch-psychologischer Experimente, der ausgelachte Dorftrottel, das Monster. Er wurde eingegraben, begossen, mit Schläuchen verbunden und in einem Kranz aus Stangen fast gekreuzigt. Seitdem stellte ich mir immer vor, dass er sich in diesem Stück für eine spanisch-katholische Kindheit gerächt hat. Diese Idee findet er ziemlich komisch. Nein, die Rolle kam von Sasha.

Für „Na Zemjle“ entwickelte der ausgebildete Musiker auch die akustische Landschaft. Aus dem Drehen einer Windmaschine und Fußgetrappel stiegen Bilder von Reiterheeren auf, Füße in Gummistiefeln stampften im Rhythmus des Flamenco durch Pfützen und Matsch und transformierten erotische Leidenschaft in einen kollektiven Rausch. Eine kleine Verschiebung der Akzente – und schon öffnet sich im Vertrauten ein Fenster zu einer anderen Welt. Solche Umwandlung von Ausdrucksweisen der Musik, der Bewegung und der Sprache findet de Garaio Esnaola immer wieder. Auch der Gesang ist Teil einer körperlichen Bewegung, „bis in die Füße hinein zu spüren“. Das wissen theoretisch zwar alle Sänger und Tänzer, aber nur wenige nutzen dies so wie er.

Schon als Kind hat er das Lesen von Noten ebenso schnell gelernt wie das von Buchstaben. Seine Ausbildung begann am Konservatorium in San Sebastian, er lernte Klavier, Dirigieren, Akkordeon und als Sänger die Rollen für Countertenor. Das war zugleich eine Entscheidung für die Musikgeschichte und das Hineinspüren in eine Vergangenheit, die seinen Blick auf die Gegenwart veränderte. Seine Aussichten auf eine Karriere in der Musik standen nicht schlecht, als er mit vierundzwanzig Jahren als Sänger für ein Tanzprojekt in Belgien engagiert wurde. Neugierig schloss er sich den Proben der Tänzer an und entdeckte hier einen größeren Spielraum der Interpretation. Obwohl er dafür noch einmal von vorn beginnen musste. Bereut hat er diese Entscheidung nie, zumal er über die Performance zu neuen musikalischen Aufführungsformen fand. Schon in der Musikauswahl zu Luc Dunberrys „The rest oft you“ fiel sein Hang zu melancholischen Liebesliedern, Tango, Fado und dramatischer Filmmusik auf. Sie sind auf den gleichen dunklen Grundton der Verzweiflung eingestimmt, wie auch die Schauspiele der Schaubühne. Aber während die Theatertexte nichts mehr übriglassen jenseits der Verrohung und der Kapitalisierung der Gefühle, finden Musik und Tanz aus diesen Haltungen wieder heraus: Die größere formale Stilisierung erlaubt zugleich, Abstand zu nehmen und von außen auf sich zu blicken.

In dem Konzert „My Dearest … My fairest“ spielen der Baske und die australische Performerin Juanna Dudley mit der Musikgeschichte, die ihre Ausbildung geprägt hat. „Uns hat interessiert, die historische Praxis aus ihrer Musealisierung zu befreien.“ Der bildungsbürgerliche Duktus, in den Programme alter Musik fast immer verpackt sind, wird von den beiden als erotisch anspielungsreicher Text zelebriert. Sie reichen sich Liebeslieder aus sechs Jahrhunderten zu, mit wenigen Worten eingeordnet in die historischen Schichten zwischen der Musiktradition der sephardischen Juden, italienischen Opern bis zu Schlagern.

Sie musizieren ohne Mikrofon und auf winzigen Instrumenten. „Dieses Spielzeug ist sehr schwierig zu spielen“, sagt der Musiker, denn natürlich sind Plastikklaviere, Handorgeln, Tröten und die Trommeln aufziehbarer Tiere kaum für so eine komplizierte Musik geschaffen. Das niedliche Instrumentarium bildet einen großen Kontrast zu der Höhe der besungenen Gefühle. Das ist mehr als ironische Brechung. Denn es erfordert in seiner Kleinheit zum genauen Hinsehen und Hinhören. Jeder Atemzug, jede Bewegung wird ungeheuer scharf wahrgenommen. Deshalb funktioniert die Komik der Aufführung zugleich als Erzeuger einen sinnlichen Spannung. Wie sich Lippen um den Rand der Instrumente schließen, wie die Luft zwischen ihnen zirkuliert, wie die Hände mit ratschenden Spielzeugautos rhythmusgenau über das Tischtuch fahren – selten erlebt man die perfekte Harmonie zweier Körper so genau. Dabei erstrecken sich fast immer zehn Meter Tisch zwischen ihnen.

Aber selbst in der Bewegungslosigkeit bleibt de Garaio Esnaola ein Tänzer, der genau im Griff hat, wie sichtbar er ist. Im gegenwartsversessenen Schaubühnenprogramm ist dieses Spiel mit den alten Ritualen und Tönen der Liebe ein erholsames Kontrastmittel. Man lernt die Sehnsucht nach Höflichkeit und Konventionen, die ihre Prägung durch die Kulturgeschichte nicht als Last sondern Ressource und Spielmaterial begreifen.