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: HELMUT HÖGE über Beziehungslosigkeit

Die städtischen Anstalten zur Ent- und Verkupplung

Kein süddeutscher Fernsehbeitrag versäumt es, seine „Berlin-Impressionen“ mit einem Blick auf den berühmten Hundefriedhof abzurunden: „Hier ruht Susi“. Das gehört zur journalistischen Deeskalationsstrategie, um die Abneigung gegen den alten Erbfeind Preußen zu minimieren.

Auch das Tierheim Lankwitz, einst das erste seiner Art in Deutschland, wo die Berliner sich seitdem ihre Haustiere fast für lau herausadoptieren, wird gerne gefilmt. Für mehr als 35 Millionen Euro ließ jetzt die Anstaltsleitung in Falkenberg ein neues, attraktiveres Domizil errichten.

Der FR-Rezensent spricht von „dorfangerartigen Rondellen, die ringförmig um eine Auslaufarena liegen“. Später sollen noch weitere „Pavillons“ hinzukommen – und „den Zirkelschlag schließen“. Die Berliner haben die öde Betonanlage sofort gut angenommen: Das neue Tierheim erwies sich bereits „als wahres Kupplernest: Seit der ersten Betriebswoche vermittelte es fast drei mal mehr Tiere als das alte“.

Das gilt jedoch auch für die großen städtischen Entkupplungsinstitutionen: Zoo und Tierpark, wo immer mehr Leute ihre überflüssigen und überzähligen Kinderzimmertiere abladen. Am Zoobetriebshof fragt der Pförtner nur noch knapp: „Sie wissen, wo es lang geht?! Vorne links und dann auf die Rampe. Ich rufe durch, damit jemand die Tiere in Empfang nimmt.“ Dabei handelt es sich meistens um Kaninchen, Hamster und Meerschweinchen.

Viele Entkupplungsmütter kennen sich bereits: „Na, auch wieder da – um den neuen Wurf zu entsorgen?!“ Die süßen Zwergnager gehören inzwischen zur Grundnahrung der Raubtiere und -vögel des Zoos. Auch die Schlangen und Krokodile greifen gerne auf sie zurück. Die meisten der Kleintiere sind biologisch-dynamisch ernährt, jung und quasi frisch.

„Was soll ich machen?“ fragt eine Frau, die „alle sechs bis acht Wochen drei bis vier ‚Balkonkaninchen‘“ anliefert, „die Kinderbauernhöfe sind rappelvoll, sie beliefern selbst die Zoos, die Tierhandlungen nehmen schon lange keine Zwergnager mehr und sie im Winter auszusetzen, das bringe ich nicht übers Herz, die sind doch mit Zentralheizung groß geworden. Noch scheußlicher ist es, sie durchs Klo zu spülen – das machen auch viele. Diese ganze Qual rührt nur daher, daß meine Tochter sich standhaft weigert, ihren Kaninchenbock endlich kastrieren zu lassen“.

Die Zoowärterinnen, die die Tiere auf der Rampe in Empfang nehmen, kennen das Dilemma. Eine meint tröstend, als sie wieder drei Kaninchen in die Box zu den Meerschweinchen sperrt: „Die gewöhnen sich schnell ein“, fügt dann jedoch hinzu: „aber bis sie sich eingelebt haben, sind sie längst weg!“ – verfüttert.

Das neue Tierheim in Falkenberg ist von der Ausdehnung her – es erstreckt sich „über 30 Fußballfelder“ – fast ein dritter Zoo. Und tatsächlich tragen auch immer mehr Mütter ihre Kleintierbrut jetzt dort hin. Seitdem die von der „Kommune 1“ einmal propagierte „Dackelverbrennung am Kudamm“ (aus Protest gegen den Vietnamkrieg) beinahe ein Pogrom der „Schultheiß-Berliner“ gegen die „herzlose Linke“ in der Frontstadt zur Folge gehabt hätte, ist die Hundeabteilung des Tierheims besonders üppig dimensioniert. Und es ist schwieriger, dort einen Hund zu adoptieren als z. B. in Vietnam ein Kind zu kaufen. Auch bei der SFB-Abendschau heißen die Hunde seit 1968 stets „unsere vierbeinigen Lieblinge“.

In Falkenberg – „der Stadt der Tiere“ – nehmen die Hundekäfige von daher das Zentrum ein. Links vom Eingang sind die Katzen untergebracht: Sie haben „einen unverstellten Blick auf die Falkenberger Feldflur“. Rechts neben dem „Service-Bereich“ befinden sich die Kleintiere: Meerschweinchen, Ratten, Chinchillas, Kaninchen, Goldhamster, Mäuse usw. Theoretisch könnte man diese nun ständig von hier nach da – das heißt in den Zoo – tragen. Aber das macht man nicht.

Kürzlich besichtigte der indische Veterinär Putlab Majid das Falkenberger Tierheim. Dr. Majid leitet ein Altersheim für Tiere bei Bombay. In dieser für Indien nicht unüblichen Anstalt werden neben einer Anzahl alter Rinder und Hunde sowie Esel auch vier Kobras und sogar zwei Skorpionen ihre letzten Lebenstage versüßt. „Unser Haus ist von daher sehr gemütlich. Aber das hier ist natürlich auch sehr beeindruckend – vor allem seine Architektur und seine schiere Größe,“ meinte Dr. Majid nach der Besichtigung.

Interessant fand er am Konzept die Umdrehung der Sorge um Tier und Mensch – für letztere hat das neue Tierheim wenig übrig: Die so genannten Beratungsbüros, in denen es um die Vermittlung zwischen dem Tier und seinem neuen Besitzer geht, ähneln kalifornischen Knastzellen, und die Pausenräume, sogar die Bungalows der Bereichsleiter sind fensterlos! Damit habe man doch die Gleichberechtigung weit überschritten, fand Dr.Majid.