Wegweisende Weiblichkeit

In einem Neuköllner Neubauviertel tragen alle 19 Straßen Frauennamen. Im Rest der Stadt dominieren die Männer

„Wir wollen Frauen aus der Versenkung der Geschichte ins Straßenbild holen“

Die Gleichstellung wohnt ganz weit draußen, am südlichen Stadtrand von Berlin. Dort, wo sich neue, weiße Bungalows aneinander reihen, wo der Rasen erst kürzlich gesät wurde und die jungen Bäume noch nicht über den Gartenzaun ragen, dort ist sie zu Hause. Der Güllegeruch vom angrenzenden Acker hängt unangenehm in der Luft. Aber in der Stadt beherrschen die Männer das Straßenbild. Also hat die Gleichstellung erst mal im Neuköllner Neubaugebiet Einzug gehalten und dort für die Frauen an Boden gewonnen.

Die so genannte Gartenstadt Rudow ist das einzige Viertel in ganz Deutschland, dessen Straßen ausschließlich Frauennamen tragen. Die Leistungen von 19 Politikerinnen der vergangenen zwei Jahrhunderte sollen hier ins Bewusstsein gerufen und gemäß dem Motto des diesjährigen Frauentages „sichtbar“ gemacht werden. Dieses Ziel verfolgte auch die Neuköllner Frauenbeauftragte Renate Bremmert (parteilos), als sie das Frauenviertel 1996 in der Bezirksverordnetenversammlung durchsetzte. „Wir wollten die Frauen aus der Versenkung der Geschichte holen. Vielleicht schlägt tatsächlich der eine oder andere zu Hause nach: Was hat diese Frau gemacht?“

Das weibliche Geschlecht ist bisher völlig unterrepräsentiert. Zumindest, was die Straßennamen betrifft. Von den rund 2.000 Plätzen, Boulevards und Wegen, die nach Personen benannt sind, tragen heute nur zirka 185 die Namen von Frauen – also keine zehn Prozent. Dabei steht seit 1991 in den Vorschriften zum Berliner Straßengesetz, dass bei der Benennung des Hauptstadtpflasters Frauen verstärkt berücksichtigt werden sollen. Seitdem kamen rund 80 weibliche Straßenbezeichnungen hinzu, ein Viertel davon in der Rudower Gartenstadt.

Trotz Vorschrift hatte Renate Bremmert bei der Verwirklichung des Frauenviertels gegen Widerstände anzugehen. Einige Herren der Bezirksverordnetenversammlung hätten es lieber gesehen, wenn nur die Straßen nach Frauen benannt würden, die drei Plätze des Viertels jedoch nach Männern, „weil Frauen sich doch immer um Männer herumgruppieren und sie umranken“.

Renate Bremmert konnte sich durchsetzen. Bei der Auswahl der Namensgeberinnen musste sie jedoch Zugeständnisse machen an die CDU-Fraktion, die stärkste in der BVV. Auf Wunsch der Christdemokraten zieren nun die Namen der vier Mütter des Grundgesetzes, unter ihnen Elisabeth Selbert, die sich für die Gleichberechtigung stark machte, die Schilder. Die Ursulinenstraße bringt zumindest theoretisch ein wenig katholisches Flair ins Viertel – auch ein Anliegen der CDU.

Bremmert suchte vor allem nach Berliner Frauen, die sich politisch oder gesellschaftlich in der Stadt engagierten. Neben Widerstandskämpferinnen und Sozialistinnen erinnert die Käte-Frankenthal-Straße an die Ärztin, die in den Zwanzigerjahren in ganz Berlin kostenlos Verhütungsmittel verteilte. Die Jeanette-Wolff-Straße ehrt die SPD-Frau, die im Abgeordnetenhaus und im Bundestag saß und beim Wiederaufbau der Jüdischen Gemeinde nach dem Krieg mitwirkte.

Die Neuköllner Straßenschilder sind wegweisend, nicht nur für Passanten, sondern für die ganze Stadt. Ein ähnliches Projekt wurde bisher in keinem Bezirk verwirklicht. Viele Berliner Straßen tragen schon seit über einem Jahrhundert Männernamen, die ohne Grund nicht ausgewechselt werden. Frauennamen auf den Schildern beschränken sich daher hauptsächlich auf Neubaugebiete in Mitte oder in den Randbezirken. Sie sind bisher genauso wenig in die Stadt integriert wie die frisch aus dem Boden gestampften Rudower Gartenstadt, ganz unten, am südlichen Rand von Berlin.

ANTJE LANG-LENDORFF

Ausstellung über die Namensgeberinnen des Frauenviertels: Galerie Olga Benario, Richardstr. 104, Neukölln. Jeden Donnerstagabend bis Ende März oder auf Anfrage (Tel.: 6 26 16 51)