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: Woher rührt der Hooliganismus?

Gewalt und Fußball

Seitdem moderner Fußball gespielt wird, begleitet ihn das Phänomen der Gewalt. „Aufruhr, widerspenstiges Verhalten, Gewalttätigkeiten, Übergriffe und Vandalismus scheinen zumindest seit den 70er Jahren zu einem festen, wenn auch nicht dominierenden Teil des Zuschauerverhaltens gehört zu haben“, resümierte bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Londoner Times indigniert. Zur gleichen Zeit, 1898, fand der Begriff des „Hooliganismus“ erstmals in einer britischen Tageszeitung Erwähnung, und zwar als Umschreibung für Straßenkriminelle und Männer, die durch starken Alkoholkonsum und rowdyhaftes Verhalten auffällig geworden waren.

In das Vokabular des Fußballs floss dieses Wort indes erst 1960 ein. Englische Medien meinten damit eine spezielle Form jugendlicher Subkultur, die im Umfeld des Fußballs gewalttätig handelte – und zwar offenkundig „nur aus Spaß“ und ohne jeglichen ideologischen oder politischen Hintergrund. Seit Ende der Siebziger ist dieser Begriff auch auf dem europäischen Kontinent gebräuchlich, spätestens seit der Brüsseler „Heysel-Katastrophe“ im Jahre 1985, als 35 Menschen vor laufender Kamera bei Zuschauerausschreitungen erdrückt wurden, steht er als Synonym für die fast symbiotisch anmutende Verbindung von Fußball und Gewalt.

Warum aber ist es ausgerechnet der Fußball, der die Gewalttäter anzieht? Warum nicht andere Sportarten wie Eishockey oder Handball, die einen ähnlich aggressiven Charakter besitzen? Dieser Frage widmet sich Ingo-Felix Meier in seiner soziologisch angelegten Studie über den „Hooliganismus in Deutschland“. Seine Hypothese lautet: „Der spezielle soziale Kontext des Fußballs bot der zunächst rein jugendlichen Subkultur Hooliganismus eine historisch unverwechselbare und einzigartige Entfaltungsmöglichkeit.“

Zugegeben, das klingt sehr akademisch, so wie viele Formulierungen in diesem Buch recht sperrig wirken. Dennoch lohnt die Lektüre. Meier blickt zuerst auf die umfangreiche (zumeist englische) Literatur zu diesem Thema, um dann die bisherigen Erklärungsansätze zusammenzufassen. Nachzulesen sind die bekannten Deutungen aus der Schule von Elias/Dunning, die – stark simplifiziert – den Fußball ganz ausdrücklich in den Kontext des Zivilisationsprozesses stellen und sein Umfeld als eines der letzten Refugien unkontrollierten sozialen Agierens wähnen. Eine neuere Erklärung ist die „Entwertungsthese“ von Heitmeyer/Peters: Demnach wirke die Kommerzialisierung der Gesellschaft direkt auf den modernen Fußball, ja dieser stehe geradezu exemplarisch für Funktionalität und Rationalität. Bar jeder Gemeinschaft suchten Jugendliche also Ersatzgemeinschaften in den Subkulturen der Fußballfans.

Meier kritisiert diese Theorien in Teilbereichen (die vier deutschen Täter von Lens etwa waren ja gerade keine Jugendlichen, sondern in festen Milieus verankerte Endzwanziger!) und ergänzt sie durch das so genannte Schwellenmodell. Demnach handeln an sich rational agierende Akteure als Einzelpersonen oft anders als in Gruppen, ein gerade für Fangemeinschaften wichtiges Moment.

Meier analysiert gründlich die aktuellen Entwicklungen der Hooligan-Szene; etwa die zunehmende Professionalität, die im Vergleich zu früher äußerst heterogene soziale Zusammensetzung, die Fragwürdigkeit eines „Ehrenkodexes“ und die lange Zeit mangelnde Aufmerksamkeit von Vereinen und Verbänden. Dass sich ausgerechnet der Fußball als bevorzugtes Feld des Hooliganismus erwies und erweist, erklärt der Verfasser vor allem mit dem historischen Vorsprung des Fußballs, „schon seit rund hundert Jahren Volkssport zu sein und in seiner geschichtlichen Entwicklung einen sehr hohen sozialen Gehalt zugeschrieben bekommen zu haben“.

Warum das aber so ist, kann auch Meier nicht ergründen. Selbst wenn der Hooliganismus also in dieser Studie neue Deutungen erfährt – das Mysterium Fußball bleibt. ERIK EGGERS

Ingo-Felix Meier: „Hooliganismus in Deutschland. Analyse der Genese des Hooliganismus in Deutschland“, Verlag für Wissenschaft und Forschung, Berlin 2001, 98 Seiten, 19,90 Euro.