„Eine Hilfe, das Leben völlig neu zu ordnen“

11.000 Deutsche sind zum Islam konvertiert, zwei Drittel davon Frauen. Warum eigentlich?

Interview ULRIKE KÖPPCHEN

taz: Wie viele zum Islam Konvertierte gibt es in Deutschland?

Monika Wohlrab-Sahr: Das ist schwer zu sagen, weil der Islam keine Organisation ist, der man formell beitreten kann. Um Muslim oder Muslima zu werden, muss man sich lediglich vor zwei Zeugen zu Allah bekennen. Manche lassen sich darüber eine Urkunde ausstellen, um nach Mekka pilgern zu können, was nur Muslimen erlaubt ist. Und aufgrund dieser Urkunden hat das Islamarchiv die Zahl von 11.000 deutschen Konvertiten verbreitet. Auf jeden Fall ist Konversion zum Islam hier ein absolutes Randphänomen.

Schätzungsweise zwei Drittel der Konvertiten sind Frauen. Wieso treten ausgerechnet Frauen einer Religion bei, die hier allgemein als ausgesprochen frauenfeindlich gilt?

Die meisten Konvertitinnen sind Heiratskonvertitinnen, schließen sich also der Religion ihres Ehepartners an. Obwohl sie es eigentlich nicht müssten, denn der Koran erlaubt muslimischen Männern, Jüdinnen oder Christinnen zu heiraten. Zunächst mal sind solche Konversionen häufig eine Art innereheliche Angleichungsstrategie ohne praktische Konsequenzen. Manche Frauen werden dann aber auch zu gläubigen Muslimas.

Was macht den Islam denn für diese Frauen attraktiv?

„Religiöse Sucherinnen“, die alle möglichen esoterischen Trips durchlaufen haben und schließlich beim Islam gelandet sind, sind mir unter den Konvertitinnen zum Islam kaum begegnet. Viele hatten jedoch massive Probleme in ihrer Sexualität und in Beziehungen zum anderen Geschlecht. Zum Beispiel erinnere ich mich an eine Frau, die wie viele andere auch in den 70er-Jahren freie Sexualität praktiziert hatte, dabei aber immer den Kürzeren zog: Sie ist verlassen worden, hatte höchst demütigende sexuelle Erlebnisse, mehrere Abtreibungen und Alkoholprobleme. Eigentlich hat sie sich die ganze Zeit wie der letzte Dreck gefühlt. Dann lernt sie einen viel älteren Muslim kennen, heiratet ihn und fängt plötzlich an, sich zu verschleiern und ein ganz strenges Leben zu führen.

Und das war die Lösung für diese Frau?

In gewisser Weise ja. Durch den Islam hat sie ein neues Verständnis vom Geschlechterverhältnis gefunden – und gleichzeitig klare Vorgaben, wie dieses Geschlechterverhältnis in der Praxis zu leben ist. Da werden dann plötzlich Vorstellungen von einer Würde der Frau oder von einem „richtigen“ Verhalten als Frau oder Mann lebendig, die für außen stehende Beobachter zwar oft befremdlich sind, aber den Betroffenen helfen, ihr Leben neu zu ordnen.

Aber Probleme mit dem Geschlechterverhältnis haben doch wahrscheinlich mehr Menschen als die 11.000 Konvertiten. Müssen die jetzt alle Muslime werden?

Niemand muss zum Islam konvertieren. Wenn die Leute eine Therapie gemacht hätten oder eine glückliche Beziehung gefunden hätten, wäre vielleicht alles anders gekommen. Dass sie zum Islam übergetreten sind, hängt in fast allen Fällen damit zusammen, dass sie einer Person begegnet sind, die den Islam in einer für sie attraktiven Weise repräsentiert hat, in der Regel ein neuer Liebespartner. Und diese Partnerschaft haben sie ganz bewusst dazu genutzt, eine neues, anderes Leben anzufangen.

Nun sagt man Konvertiten ja nach, in Glaubensdingen besonders eifrig zu sein …

Häufig nehmen sie es mit der Einhaltung der Regeln wirklich genauer als die Muslime, die in die Religion hineingeboren werden. Wenn man vorher immer in Kneipen oder Diskos gegangen ist und getrunken hat und plötzlich behauptet: Das darf man nicht – wie soll man das den Leuten plausibel machen, mit denen man vorher zu tun hatte? Insofern glaube ich, dass Konvertiten in gewisser Weise zunächst mal Eiferer sein müssen, weil sie demonstrieren wollen: Das Alte gilt nicht mehr, jetzt ist was Neues angesagt. Das Problem entsteht eher dann, wenn sie diese Eiferer bleiben.

Inwiefern steckt in einem Übertritt zum Islam, der ja in gewisser Weise als kulturelles Gegenkonzept zur westlich-liberalen Gesellschaft angesehen wird, auch eine bewusste Gesellschaftskritik?

Oft hört man von Konvertiten, dass unsere Gesellschaft zur Entwürdigung von Frauen führt oder dazu, dass Männer chronisch verführt werden durch eine bestimmte Art des Auftretens von Frauen. Und dass man da durch eine bestimmte Art der Kleidung quasi eine Moralisierung der Gesellschaft betreiben kann. Hier argumentieren Konvertiten häufig fundamentalistisch, aber im Allgemeinen verbinden das die deutschen Muslime nicht mit einem gesellschaftspolitischen Programm, dass man die Gesellschaft hier umstrukturieren müsste. Die wollen selber ein moralisches Zeichen setzen: Wir leben anders als ihr, die ihr euch dauernd belästigen lassen müsst.

Das hört man aber auch immer wieder aus nichtmuslimischen Kreisen …

Natürlich hat man das in der Werbung, manchmal mehr, manchmal weniger penetrant, aber ich würde dennoch sagen: Es ist nicht die durchgängige Erfahrung von unverschleierten Frauen, ständig belästigt zu werden. Aber da unterstellen Konvertitinnen so einen gemeinsamen Erfahrungshintergrund, als würden in dieser Gesellschaft Frauen per se als Sexobjekte behandelt und als ob man deshalb den Schleier als Schutz brauchte. Aber ich habe eigentlich den Eindruck, dass die meisten jungen Frauen sich sehr gut zur Wehr setzen können, wenn sie belästigt werden – auch ohne Schleier.