Vom Schicksal verheiratet, vom Mann verstoßen

Beispiel Marokko: Frauen wollen frei heiraten – und sich wieder scheiden lassen können. Doch die Reform wird abgelehnt: Sie ist „unislamisch“

RABAT taz ■ Ein Mann sucht eine Frau. Er soll heiraten und eine Familie gründen. Man hat ihm gesagt, dass er in der Region von Bni Meskine suchen soll, rund 250 Kilometer südöstlich von Casablanca. In einem Dorf, zu dem er vom Kuppler geführt wird, empfängt ihn die Hausherrin, deren Tochter und die 14-jährige Enkelin. Das Mädchen bedient den Gast, stellt die Schuhe zurecht, bietet Tee an. „Unsere Mädchen haben nichts zu tun, sobald ihr zmane (Schicksal) eintritt, verheiraten wir sie,“ sagt die Hausherrin, „auch ohne gültige Heiratsurkunde.“ Der Onkel des Mädchens fügt hinzu: „Wenn Sie wollen, gebe ich Ihnen alle elf Mädchen. Sie sind gut erzogen, heben die Augen nicht vom Boden, reden nicht und ertragen alles, ohne zu jammern.“ In einem anderen Haus empfängt den Freier eine hochschwangere Frau. „Suchen Sie sich eine aus. Sie haben alle die gleiche Erziehung genossen. Sie arbeiten sehr gut. Sie gehen nicht aus dem Haus“, sagt die Frau: „Und sie sind schon in der Hochzeitsnacht schwanger. Alle unsere Mädchen haben im ersten Jahr geboren.“

Eine Frau sucht einen Mann. Einen, der sie gut behandelt. Aziza Izem ist Rechtsanwältin und hat nach dem Studium ihre große Liebe, einen Jurakommilitonen geheiratet. Obwohl schon mehrere Jahre zusammen, hat das Paar keine Kinder. Die Familie des Mannes besteht darauf, dass er sich scheiden lässt, um mit einer neuen Frau endlich Nachwuchs zu zeugen. An dem Tag, an dem ihr Mann dem Druck der Verwandtschaft erliegt, braucht er Aziza nur vor einem Richter seine Verstoßung bekannt zu geben. Dann muss sie ihn verlassen. „Es ist wie ein Damoklesschwert. Ich habe Angst zu atmen“, sagt Aziza.

„Schizophren“, sagt Rabea Naciri. „Wir erkranken an unserern gesellschaftlichen Widersprüchen“, meint die Aktivistin des „Collectif 95 Maghreb Egalité“. Mit anderen engagierten Frauen hat sie an dem „Plan für die Integration der Frau in die Entwicklung“ mitgeschrieben, der den marokkanischen Frauen den Eintritt in die Moderne ermöglichen soll. Doch die Abhängigkeit der Frauen ist institutionalisiert. Festgeschrieben durch die Moudawana, dem Gesetz aus der Scharia, das den zivilrechtlichen Status der Frauen regelt. Im April vergangenen Jahres setzte marokkos junger König Mohammed VI. ein Kommission zur Reform der Moudawana ein. Dennoch scheinen Veränderungen nicht schnell durchsetzbar.

Um jungen Frauen eine umfassende Ausbildung zu sichern, soll nach dem vom Ministerium für Frauen und Kinder initiierten Plan zunächst das gesetzliche Heiratsalter von 15 auf 18 Jahre hoch gesetzt und die Polygamie verboten werden. Frauen sollen zukünftig über sich selbst entscheiden dürfen und nicht mehr wie bisher von Vater und Ehemann abhängig sein. Und auch Frauen sollen sich scheiden lassen dürfen und im Falle einer Wiederheirat das Sorgerecht für ihre Kinder behalten dürfen. Bislang gilt, dass eine Ehefrau, die sich von ihrem Mann trennen möchte, dessen Einverständnis braucht oder nachzuweisen hat, dass er sie misshandelt. Häufig genug verlangt aber der Ehemann für sein D’accord Geld. Die Frau muss sich freikaufen. Verstößt ein Mann seine Frau, muss er höchstens einen Obulus an ihre Familie für die Entjungferung zahlen. Bislang dürfen die Kinder nach der Scheidung bei der Mutter bleiben, aber nur solange, bis diese wieder heiratet.

„Die Gesetze und Moralvorstellungen halten mit der tatsächlichen Entwicklung nicht mehr Schritt“, meint Soumya Zahy, eine andere Aktivistin. Als die Moudawana 1957 verabschiedet wurde, sollte sie zeigen, dass sich die grundlegenden Familienwerte des Islam mit der Moderne vereinbaren ließen. Was damals ein Fortschritt war, hält die jungen Frauen Marokkos heute im Zustand der Entmündigung. „Und dabei ist es egal, ob wir Bäuerinnen oder Rechtsanwältinnen sind“, sagt Rabea Naciri. Das Ministerium für religiöse Fragen hat dem Plan einstweilen eine Absage erteilt. „Unislamisch“ sei der Plan, befanden islamische Theologen.

ADRIENNE WOLTERSDORF