„Erbärmlich und verwahrlost“

Berzeliusstraße: Sozialarbeiterin zu acht Monaten Haft verurteilt  ■ Von Magda Schneider

Die SozialarbeiterInnen, die im Gerichtssal erschienen sind, reagierten empört, als im Plenarsaal des Landgerichts das Urteil verkündet wird. Acht Monate Haft auf Bewährung für Sozialarbeiterin Mendula K. wegen „fahrlässiger und vorsätzlicher Körperverletzung“, Geldstrafen von 7000 und 4500 Euro für ihre Kollegen Günter T. und Harmut M. wegen „unterlassener Hilfeleistung“. Alle drei sollen Mitschuld am Tod des 67-jährigen Otto Aschberg tragen, der Ostern 1999 völlig verwahrlost, erkrankt und unterernährt im Männerwohnheim Berzeliusstraße ums Leben gekommen ist.

Die tragischen Umstände des Todes von Otto Aschberg waren Gegenstand der Anklage vor dem Landgericht gewesen. Das hatte die Hoffnung auch unter den Betroffenen gehegt, dass der Tod diesmal nicht als Schwund in einem Obdachlosenghetto dieser Stadt durch das Amtsgericht abgehakt wird, sondern die Umstände, die Aschbergs Tod möglich gemacht haben, umfassend aufgearbeitet werden.

Doch wer daran glaubte, wurde von Richter Claus Rabe – der schon Ronald Schill im Eilverfahren vom Vorwurf der Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung freisprach – eines Besseren belehrt. Seine Urteilsbegründung hört sich dann auch eher nach einer Verschwörung von SozialarbeiterInnen an, die „gelogen haben“, um ihre Schuld zu vertuschen oder falsche Vermerke als „Schutzbehauptungen“ angefertigt hätten. Das gipfelt in Rabes Vorwurf an Mendula K: „Das Schicksal von Otto Aschberg war Ihnen gleichgültig, Sie haben es zumindest billigend in Kauf genommen.“

So wird ihr vor allem ein Vermerk aus dem Jahre 1995 zum Verhängnis. Damals hatte sie festgehalten, dass sie den Eindruck habe, Aschberg sei „nicht mehr in der Lage“, sich selbst zu versorgen und sei einer „Heimunterbringung nicht abgeneigt“. „Danach haben Sie im Hinblick auf den Gesundheitszustand nichts unternommen“, wirft ihr Raabe heute vor. In der Tat nicht, denn Aschbergs Zustand hatte sich, so die Sozialarbeiterin, zusehends verbessert, so dass er fortan jede staatliche Hilfe ablehnte.

Aus dem Vermerk folgert Rabe heute, dass sie im März 1999 nach erneuten Hinweisen auf Aschbergs Gesundheitszustand die „Dramatik“ sofort hätte erkennen müssen. „Es ist Ihnen nicht entgangen, dass es sich um einen erbärmlichen und verwahrlosten kranken Menschen handelt.“ Obwohl er Hilfe stets kategorisch abgelehnte, hätte sie trotz des Rechts auf Selbstbestimmung in ihrer Garantenstellung handeln müssen. „Sie hätten erkennen können, dass Otto Aschberg nicht mehr Herr der Lage ist.“ Rabes Schlussfolgerung: „Sie hätten sofortige ärztliche Hilfe holen müssen.“ Doch das taten auch die anderen Mitarbeiter der „pflegen & wohnen“-Einrichtung nicht, die im Prozess nun als Zeugen der Anklage aufgeführt worden sind.

Lediglich in einem Punkt weicht der Schuldspruch von der Anklage ab. Eine fahrlässige Tötung liege nicht vor, da die Angeklagte die Lungenentzündung – die eigentliche Todesursache – nicht hätte erkennen können.

ver.di-Fachbereichsleiterin Sabine Meyer ist über den Richterspruch schockiert: Dies sei „ein schlimmes Signal für alle Sozialarbeiter“, sagt sie. ver.di hatte in den vergangenen Jahren mehrfach die Zustände in den sozialen Ghettos und die Überlastung der SozialarbeiterInnen angeprangert. Auch Verteidigerin Daniela Leyhausen schüttelt den Kopf über das Urteil, wird das Mandat niederlegen. Sie räumt zwar Fehler ihrer Mandantin ein, hält aber vielmehr eine gänzliche Aufarbeitung der Zustände in der Berzeliusstraße für notwendig: „Und dann hätten ganz andere mit auf die Anklagebank gehört – so die vorherige Sozialsenatorin, die solche Bedingungen zugelassen hat.“