Breite Spuren im tiefen Schnee

Auf leisen Sohlen durch die winterlichen Alpen: Schneeschuhe sind besser als Schier – zumindest wenn es bergauf gehen soll. Auch an den breitbeinigen Gang gewöhnt man sich schnell, er suggeriert ja schließlich Sicherheit

Wenn es richtig steil wird, muss man die Schaufel waagrecht in den Schnee rammen

Schritt für Schritt, immer bergauf. Von Obertraun am Hallstätter See im Salzkammergut waren wir mit der kleinen Gondelbahn aufgefahren, bereits beim Umsteigen auf der Zwischenstation war die Sicht wegen des schlechten Wetters nicht sonderlich gut. Auf dem Oberfeld, der Endstation, herrschte dann leichter Frost. Der Wind blies noch mäßig um die kleine Kaserne, die hier von den österreichischen Gebirgsjägern unterhalten wird. Martin, der Bergführer, gab unserer kleinen Runde die Schneeschuhe, dazu Stöcke und die Verschütteten-Such-Geräte für den Fall, man gerät in eine Lawine. Er drängelte ein wenig zur Eile, denn der Nachmittag war schon fortgeschritten und die Simony-Hütte in unerreichbar scheinender Ferne.

Starker Wind, so heißt eine alte Regel, lässt einen die Kälte wesentlich stärker spüren, als sie tatsächlich ist. Für die Zeit gilt das leider irgendwie auch. 20 Minuten sind wir unterwegs. Das zeigt der Blick auf die Armbanduhr. Gefühlt sind es aber mindestens zwei Stunden, und die Hütte kommt nicht näher. Zwischen felsigen Kegeln, windschiefen Zirpen und niedrigen Latschen setzen wir unsere Tritte, der Weg zieht sich durch Rinnen und Mulden.

Nur zwei aus der Gruppe waren zuvor einmal auf Schneeschuhen unterwegs gewesen. Und doch scheint es, als seien wir alle nie anders als mit Scheeschuhen gelaufen. Wie die Wanderstiefel in der Bindung befestigt werden, das hatte Martin uns gezeigt. Dann liefen wir ohne größere Erklärung los – genauere Instruktionen waren auch gar nicht notwendig. Anfangs war es wie einfaches Wandern. Nur dass wir eben in den Schnee, der ja reichlich vorhanden war, dank unserer Steighilfen nicht einsanken.

Vollprofis waren wir allerdings noch nicht, als wir dann zweieinhalb Stunden später reichlich erschöpft in der 2.200 Meter hoch gelegen Hütte eintrafen. Wir starrten durch die Fenster auf das großartige Panorama der Dachstein-Berge. Das Abendessen verspeisten wir schweigend und gierig. Schneeschuhgeher verbrennen mehr Kalorien als Jogger. Suppe, Spaghetti und Nachtisch trug Hannelore auf, die nach einem Kletterunfall von Hüttenwirt Toni Rosifka das Kommando über die Herberge mit ihren 120 Betten übernommen hat.

Die Tricks mit den Schneeschuhen zeigt uns Martin am anderen Morgen. Trotz Schneesturms hat er uns ins Freie gelockt. Im Gegensatz zum Wandern steigt man am besten in der Falllinie auf und geht auch so hinab. Wenn es richtig steil wird, ist es angezeigt, die Schaufel waagrecht in den Schnee zu rammen, die scharfen Zacken unter den Gehhilfen geben im Harsch und bei Eis sicheren Halt. Seit vier Jahren arbeitet Martin als Bergführer, sein letzter Job – im Büro einer Firma für Heiz- und Klimatechnik – war denn doch nicht das Richtige gewesen.

Schneeschuhe haben im Vergleich zu Skiern einige wesentliche Vorteile. Man kann ohne Anleitung sofort loslaufen, an den etwas breitbeinigen Stil gewöhnt man sich schnell. Sie lassen sich schnell verstauen, sind in Waldregionen Skiern an Wendigkeit überlegen, bei wenig Schnee geht so schnell nichts kaputt. Snowboarder lieben die meist aus einem Aluminiumrahmen und einer Bespannung gefertigten Schuhe als Aufstiegshilfe, um anschließend unberührte Hänge abfahren zu können. Und das Risiko, sich mit Schneeschuhen zu verletzen, geht gegen null.

Wer Schneeschuh läuft, bekommt vor allem keine kalten Füße. Verwendet werden statt starrer Skischuhe weiche Winter- oder guteTreckingstiefel. Die Fußballen rollen beim Gehen ab, das sichert die Blutzirkulation in den Zehen. Das hat auch den Hüttenwirt Rosifka beeindruckt, der vor etlichen Jahren eine Tour am Mount McKinley unternahm. Nimm Schneeschuhe für den Aufstieg, hatten ihm die Menschen in Alaska gesagt, der heute 56-Jährige hatte den Tipp bei seiner Tour am kältesten Berg der Erde beherzigt; erstaunt stellte er fest, dass seine Gruppe bergauf so schnell vorankam wie eine andere auf Skiern. Bergab setzten sich Rosifka und seine Begleiter auf die Pulkas (Schlitten), die sie hinter sich hergezogen hatten. Die auf den Skiern hatten das Nachsehen.

Seit rund sieben Jahren bietet der Hüttenwirt nun in Zusammenarbeit mit dem Summit Club Schneeschuhkurse auf der Simonyhütte an. Hundeschlittenfahren hat er ebenso im hohen Norden Amerikas gelernt, auch das gehört heute zum Hüttenprogramm.

Wer sich in den Bergen abseits präparierter Pisten bewegt, muss einige Vorsichtsmaßnahmen treffen, sich über Wetter, Schneeverhältnisse und Lawinengefahr kundig machen. An einer Wächte schneidet Martin mit einer Schaufel durch den Schnee. Sichtbar werden die verschiedenen Schichten alten Schnees, obenauf der Neuschnee, der in der vergangenen Nacht gefallen ist. Zwischen den verschiedenen Schichten liegt auch körniger, graupelartiger Schnee, das Überbleibsel eines nächtlichen Gewitters vor ein paar Tagen. Der Graupel verhindert, dass sich die Schneeschicht darüber mit der darunter liegenden verbindet – je steiler ein solcher Hang, umso größer ist die Lawinengefahr. Deshalb ist beim Schneeschuhlaufen das Tragen eines Verschütteten-Such-Gerätes ebenso obligatorisch wie für Skitourengeher.

Nächtens hat es gestürmt, Schneefall, nicht zu knapp, ist für den Vormittag angekündigt. Doch als wir so weit sind, reißen mit einem Ruck die Wolken auf, das erste Mal seit drei Tagen blitzt die Sonne hervor, wir erstürmen den Hallstätter Gletscher. Und werden belohnt: ein wunderbarer Blick ins Alpenrund. Wer hätte gedacht, dass Schneeschuhlaufen ein solches Vergnügen sein kann.

WOLFGANG GAST

Schneeschuhe (ab 150 €) lassen sich mittlerweile in fast allen Skiorten ausleihen. Verschiedene Veranstalter bieten Schneeschuhreisen an. Die hier beschriebene viertägige Reise auf der Simony-Hütte bietet der DAV-Summit-Club an (etwa 300 €)