Wahllokale zwischen den Fronten

In Kolumbiens ehemals entmilitarisierter Zone dauern die Gefechte zwischen Guerilla und Militär an. Morgen wird ein neues Parlament gewählt. Zweieinhalb Monate vor den Präsidentschaftswahlen liegen die politischen Hardliner in Führung

aus San Vicente INGO MALCHER

Mit schweren Schießereien zwischen einer Spezialeinheit der Armee und den Guerilla-Einheiten der „Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens“ (Farc) ging am Donnerstag die erste Aktion der Guerilla in der Hauptstadt der ehemaligen neutralen Zone seit Beendigung der Friedensgespräche vor knapp zwei Wochen zu Ende.

Schon in den frühen Morgenstunden blockierten die Guerilleros in einem Vorort von San Vicente, nur zwei Kilometer von der zentralen Plaza entfernt, eine wichtige Durchgangsstraße. Sie hielten mehrere Lastwagen an, schossen ihnen die Reifen platt und legten damit den kompletten Verkehr lahm. Über 60 Autos, insgesamt 300 Personen, blieben über zehn Stunden in der Gewalt der Freischärler, die aber versprochen hatten, Punkt 18 Uhr alle wieder laufen zu lassen. Doch als mehrere Kampfflugzeuge der Luftwaffe am Himmel über San Vicente auftauchten, begann die im Ort stationierte Spezialeinheit, Jagd auf die Guerilla zu machen. Auch von anderen Stellen rings um San Vicente herum waren Schüsse zu hören.

Stunden später fuhren die freigelassenen Autos durch San Vicente, auf denen mit Spraydosen „Farc für die Freiheit Kolumbiens“ geschrieben stand.

Um Attentate bei den am Sonntag stattfindenden Parlamentswahlen zu verhindern, sind die Streitkräfte und die Polizei in höchste Alarmbereitschaft versetzt worden. In der Hauptstadt Bogotá patrouillieren Soldaten durch die Straßen, an zahlreichen Punkten parken Panzer.

In der ehemaligen Farc-Zone sind zwölf Wahllokale vorgesehen. Aus Sicherheitsgründen wurde zunächst überlegt, alle Wahllokale nach San Vicente zu verlegen. Die Streitkräfte haben in der ehemaligen Guerillazone nur die urbanen Zentren besetzt. Der ländliche Raum bleibt Farc-Land. „Es ist besser, das Risiko einzugehen und alle Leute wählen zu lassen. Wenn wir nur in San Vicente wählen lassen, werden viele nicht ihre Stimme abgeben können“, sagt der Bürgermeister Nestor León Martinez. Bislang habe es keine Drohungen der Farc gegen den Wahlprozess gegeben. „Die Wahlen hier sollen zu einer demokratischen Fiesta werden, hier wurde immer sehr unabhängig gewählt“, so León Martinez.

Die Wahlen am Sonntag sind vor allem ein Stimmungstest für die Parteien – und ein Belastbarkeitstest für die Sicherheitskräfte. Es ist der erste Urnengang seit Beendigung des Friedensprozesses. Da Parlamentswahlen in Kolumbien einen sehr lokalen Charakter haben, wird das nicht unbedingt ein richtiger Test für die Ende Mai stattfindenden Präsidentschaftswahlen.

Aber die bislang veröffentlichten Umfragen signalisieren doch einen Stimmungswechsel. Der einzige Präsidentschaftskandidat, der sich für die Fortsetzung des Friedensprozesses eingesetzt hat, Luis Eduardo Garzón, ist weit abgeschlagen. In Zeitungen, Radio und Fernsehen sind die Stimmen auf dem Vormarsch, die die militärischen Aktionen gegen die Farc befürworten. Die beiden aussichtsreichsten Kandidaten für das Amt des Präsidenten, Horacio Serpa und Alvaro Uribe, sind beide Fürsprecher einer militärischen Lösung. Der Rechtsausleger Uribe macht sogar damit Wahlkampf, dass er bereits vergangenen Oktober das Ende der Farc-Zone gefordert habe. Und zwar mit denselben Argumenten, wie Pastrana sie Ende Februar vorbrachte, um das Militär in die Farc-Zone zu schicken.

Mittlerweile haben aber auch Hardliner im Militär eingesehen, dass es möglicherweise Jahre dauern wird, bis die ehemalige Guerillazone, in der das Militär auch vorher nicht präsent war, erobert ist.

Die Sicherheitskräfte im ganzen Land befinden sich in einer Großoffensive gegen die Guerilla. Am Donnerstag wurden in Medellín 19 Farc-Mitglieder verhaftet. In nur zwei Wochen sind der Polizei damit allein in Medellín 108 mutmaßliche Guerilleros in die Hände gefallen, berichtete der Fernsehsender RCN.