Viele Demokraten arbeiten nach wie vor im Verborgenen

Afghanistans winzige demokratische Gruppen hoffen auf Unterstützung aus dem Ausland. Sie müssen vorsichtig agieren, um nicht als „unislamisch“ diskreditiert zu werden

KABUL taz ■ Seinen Namen will der Mann lieber nicht nennen. Er ist, so sagt er, Vertreter der Republikanischen Partei Afghanistans. Einer Gruppe, die noch im Untergrund operiert. Die bisherige Arbeit dieser Partei schildert er so: „Wir haben unter den Taliban Informationen über Menschenrechtsverletzungen gesammelt und sie an ausländische Organisationen gegeben. Auch haben wir Unterricht für Mädchen organisiert, denen der Schulbesuch verboten war. Jetzt wollen wir Demokratie, doch uns fehlen die Erfahrungen damit.“ Die Partei existiere seit zwei Jahren und habe 4.800 Mitglieder, darunter 700 Frauen. „Wir mussten unter den Taliban sehr vorsichtig sein und konnten uns nur in Gruppen von drei bis fünf Leuten treffen. Jetzt hoffen wir, bald legal arbeiten zu können.“

Auch der Vorsitzende der Union der freiheitsliebenden Kämpfer Afghanistans, Mohammed Tarek, sieht seine Intellektuellenorganisation als Teil der Demokratiebewegung: „Seit die Sowjets Afghanistan besetzten, haben wir viele Freunde aus der demokratischen Bewegung verloren – sowohl durch die Sowjets als auch durch die Islamisten.“ Zwar seien die Talibanführer besiegt, die Fundamentalisten jedoch bei weitem nicht. Seine Organisation habe noch nicht entschieden, ob sie Bewegung bleiben oder Partei werden wolle. Sie zählt angeblich 800 Mitglieder, darunter 90 Frauen. Schwerpunkte seien der Westen und der Norden des Landes. Der 50-jährige frühere Lehrer meint: „Die internationale Gemeinschaft sollte die Warlords entwaffnen, das fördert den Wandel und schafft Freiraum für Intellektuelle.“

Die Republikaner und die Union kennt in Kabul fast niemand. Auch andere demokratische Gruppen sind weitgehend unbekannt. „Innerhalb Afghanistans fehlten bisher die Bedingungen für eine Demokratiebewegung, während demokratische Afghanen im Ausland zu wenig über die Verhältnisse hier wissen, sodass ihre Vorstellungen oft Träume sind“, meint der Geschichtsprofessor der Universität Kabul, Sayed Amin Mudschahed, der auch der unabhängigen Loja-Dschirga-Kommission angehört.

Zurzeit bezeichneten sich viele Gruppen als demokratisch, meint Sayed Amin Mudschahed, das hieße jedoch nicht viel. Nur die wenigsten Gruppen seien es auch. In Afghanistan sei der Demokratiebegriff reichlich abgegriffen: Schon unter den Kommunisten sei er missbraucht worden, und selbst die Taliban hätten sich anfangs gern als demokratisch bezeichnet.

Die Vorstellungen, die die jetzigen demokratischen Gruppen von Demokratie haben, seien ziemlich vage; trotzdem gebe es Gemeinsamkeiten, meint Michael Pohly. Der Iranistik-Dozent an der Freien Universität Berlin sondiert derzeit in Kabul die Eröffnung eines Büros für die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung. „Die Demokratiefrage macht sich vor allem an der Ablehnung der Scharia fest, am Einsatz für die Rechte der Frau und an der Forderung nach der Trennung von Kirche und Staat.“ In der Tat sprechen sich zum Beispiel alle Befragten für ein säkulares Afghanistan aus.

Doch alle betonen auch, dass die Säkularisierung nicht offensiv gefordert werden könne. Denn dies würde lediglich den Islamisten den Vorwand liefern, demokratische Gruppen als „unislamisch“ zu diskreditieren, was für diese tödlich sei.

„Die Relevanz der demokratischen Gruppen besteht zunächst darin, dass sie in 23 Jahren Krieg nicht aufgegeben haben“, meint Thomas Ruttig von der UN-Sondermission für Afghanistan (Unsma) in Kabul. Die Relevanz der Gruppen hänge zudem vom Westen ab. Sollen sich Ereignisse wie am 11. September nicht wiederholen und wolle der Westen wirklich ein demokratisches Afghanistan, so Ruttig, müsse er dort auch Antifundamentalisten und Demokraten unterstützen. Erst dann könnten und würden diese Gruppen zeigen, dass ihre Forderungen Rückhalt in der Bevölkerung hätten. SVEN HANSEN