Im Wendekreis des Krebses

Assoziationsartisten, Wortakrobaten, Theatersportbetreiber und die Kinder von Monty Python: Das 2. Internationale Festival für Improvisationstheater beweist, dass Gescheitheit und Langeweile nicht zwangsläufig zusammengehören

Theater hat für die meisten von uns nicht mit attischen Königsdramen begonnen. Prägend war vielmehr der Klassenclown, der auf Zuruf den schleppenden Gang des Mathematiklehrers oder die Posen des Kunsterziehers trefflich vorzuführen wusste. Irgendwohin in diesen präadoleszenten Bereich entführt den erwachsenen Zuschauer seit einigen Jahrzehnten das Improvisationstheater. Weitgehend ignoriert von der Kritik, bringt es immer größer werdende Säle zum Kochen.

Theater tritt hier nicht als intellektueller Hochleistungssport auf, der seine Gescheitheit vornehmlich durch Langeweile zu beweisen sucht. Nein, aus dem Moment geboren entstehen Assoziationskaskaden, die das Zwerchfell erschüttern. Das sogenannte „verkümmerte Kind“ im Zuschauerraum entdeckt das lustvolle Fabulieren aus seinen frühen Tagen wieder. Bis zum 16. März lässt sich diese Erfahrung noch beim an sechs verschieden Spielorten stattfindenden 2. Internationalen Festival für Improvisationstheater machen. Neun Gruppen aus acht Ländern haben die heimischen Matadoren vom Gorilla-Theater zusammengetrommelt. Die betreiben Theatersport oder hantieren akrobatisch mit Worten. Bis hin zu Ballett oder Stummfilm reichen die Formen.

Als Improvisationstheater der höchsten Potenz hat sich „Impro hoch 10“ in der Vaganten-Bühne erwiesen. Mitglieder aller Gruppen finden sich zu einer am Vormittag entwickelten Spielart ein. Am Montag handelte es sich um ein Treffen der Zen-Jünger. Jeweils zwei von ihnen zogen aus einer Schale ein Mantra und mussten es mimisch umsetzen. Aus „Vater“ und „Meeresfrüchte“ entwickelte sich eine Geschichte um einen Jungen, der als Beweis seiner Männlichkeit Krebse zum Kochen aussuchen soll. Er sinniert, ob ein „schlechter“ als Bestrafung oder ein „guter“ zwecks Befreiung aus der Gefangenschaft in Betracht kommt. Er erfährt, dass er den Krebs töten muss, und entscheidet sich für „Gottes Variante“ des Mordes per Zufall. Die Pein des Krebses im kochenden Wasser stellt sich als wichtig für den Geschmack heraus. Als nächste Mutprobe soll er seinen Hund töten. Weil er das nicht kann, erwählt der Vater den Hund als neuen Sohn.

In wenigen Minuten, ohne Requisiten und mit kongenialer musikalischer Untermalung, entsteht hier eine kleine Geschichte, voller Grausamkeit, Komik und Morbidität. In einer anderen verleitet der Papst zur Pornografie; sein Zögling endet mit der Heirat eines Sexandroiden. Im Verlaufe des Abends werden die Geschichten komplexer; Figuren aus früheren Episoden tauchen wieder auf. In den besten Momenten fühlt man sich an die Erzählstruktur und die groteske Wahrhaftigkeit von Monty Python erinnert. TOM MUSTROPH

„Impro hoch 10“, tgl. 20 Uhr, Vagantenbühne; Spielplan + Info: Ratibor-Theater, Cuvrystr. 20, Kreuzberg