harald fricke über Shopping
: Revival im Outer Space

Warum Jeans, Rebellion und die Siebzigerjahre zusammengehören

Zweimal Jeanswerbung, die eine als Videoclip im Fernsehen, die andere überlebensgroß als Poster an Litfaßsäulen. Der Zweck: Aufmerksamkeit schaffen für eine Ware, die keine Imagesteigerung mehr hergibt, wo doch sämtliche Zielgruppen vom pensionierten Postler bis zur frühreifen Zahnspange damit eingedeckt sind.

Es funktioniert trotzdem. Selten lagen Marketingstrategien für ähnliche Produkte so weit auseinander wie in den aktuellen Kampagnen von Levi’s und H & M. Und selten haben sie sich auf so bedenkliche Weise ergänzt. Dies ist keine Warnung: Man schaut, man starrt, man staunt in beiden Fällen. Bei Levi’s wird man in eine endzeitliche Welt mitgenommen, die das letzte Paar – Menschen, nicht Hosen! – auf Erden kurz vor dem Exodus zeigt. Der Junge sieht düster aus, vergrübelt steht er im Flur eines leeren Gebäudes, rollt mit übernächtigten Augen und rennt plötzlich frontal auf eine Mauer zu, die unter seinem kraftvollen Körpereinsatz zerspringt. Immer wieder bricht er zur anderen Seite durch mit ungebändigter Energie. Auch die Musik donnert permanent mit einem Orchester durch Händels „Sarabande“, als gäbe es kein Entrinnen aus dieser Zerstörung.

Der Junge bleibt nicht allein, bald gesellt sich ein Mädchen hinzu, das fortan mit ihm um die Wette durch Wände geht. Sie schauen sich in die Augen, verschnaufen einen Moment und setzen dann zum Sprung nach ganz draußen an: Vor ihnen liegt jetzt nur noch ein Wald aus Kiefern, die sie aufwärts stürmen bis zur Spitze, um sich final ins All zu stürzen. Zum Schlussbild sind die Teenage-Dissidenten eingefroren in Outer Space, dazu der Slogan: „Bewegungsfreiheit“. Sonst nichts. Man soll sich merken, dass „Levi’s Engineered Jeans“ es möglich machen, dem Jammertal des uniformen Lebens zu entfliehen. Eine schöne Idee, ein romantischer Gedanke, und Hosen braucht man ohnehin immer.

Atemberaubend waren die 60 Sekunden beim ersten Mal auf MTV, und die Begeisterung hält immer noch bei mir an, obwohl der Clip inzwischen auf halbe Spiellänge runtergeschnitten wurde. Das Setting könnte aus einem japanischen No-Future-Comic stammen, die jugendlichen Helden wirken ungestüm, wütend und so wild entschlossen in ihrem Aufbegehren wie beim Battle of Seattle. Die Marke, die sie mit ihrem unbremsbaren Tatendrang verkörpern, gehört zu den multinationalen Konzernen, deren Globalisierungsstreben dort gerade attackiert werden sollte. Interessant, dass die Münchner Werbeagentur Häberlein & Maurer den anarchischen Lifestyle vom Widerstand übernommen hat – auch wenn der originelle Effekt des unter den Fußtritten einstürzenden Bürogemäuers am Computer errechnet wurde.

Bei H & M dagegen kämpft die Werbung mit aller Macht der Melancholie den möglichen Widerwillen der Konsumenten nieder. Der schlimme Look, den Nadja Auermann dabei zur Schau trägt, reicht bis in die späten Siebzigerjahre-Verirrungen zurück. Die Reklame ist so sehr retro, dass ich erst glaubte, man hätte die mittlerweile von Mick Jagger für irgendein junges Ding verlassene Jerry Hall geliftet, um mit ihr den Angriff der blassblau verwaschenen Denim-Bundfaltenhose auf die Gegenwart zu starten. Aber das aschblonde Model mit der in Wella-Wellen gelegten Frisur ist nicht von einst, sondern eindeutig Auermann, auch wenn man die Beine bloß bis zum Knie sieht. Der Sog des Revivals ist dennoch übermächtig, am liebsten würde ich den ganzen Tag nur noch die Erkennungsmelodie von Janine-D.-Deo-Spray singen, nachdem das Bild nun einmal da ist und nicht mehr weg will: „Hello, Janine D., du bist wie die Mädchen von heute“. Wer alt genug ist, weiß, wie es weitergeht, hat sich wahrscheinlich früher mit „Duschdas, du spürst was“ gewaschen und kann auf Bols-Blau-Memorial-Partys sicher über „Mein Bac, Dein Bac“-Witze lachen, während im Hintergrund ein brennend heißer Hit von Supertramp läuft – „The Logical Song“ geht immer, mit oder ohne Ironie.

Was aber mag die Firma aus Schweden dazu bewogen haben, den glücklich überstandenen Bekleidungsterror der ausgehenden Seventies neu zu beleben? Für wen soll das lässig hochgedresste Nebeneinander von Freizeit und Bürojob, das sich in Auermanns Strickpulli-Schiebermütze-Jeans-Kombination manifestiert, überhaupt gemacht sein? Die Generation Golf war noch zu jung für den Gruselschick der Helmut-Schmidt-Ära, die anderen dürften das Elend aus hanseatischer Segelmode und Lord-Extra-Feeling sorgsam verdrängt haben. Dass sich aber die Geschichte zweimal ereignet: als Tragödie und als Farce, diesen Marx-Reim kann man sich offenbar auch auf Fashion machen. Demnach sind die Chancen groß, dass die spröde Sanftmut von H & M am Ende über die letztlich auch nur auf authentisch getrimmte Outlaw-Künstlichkeit der Levi’s-Rebellen triumphieren wird. Wenn sich die totgeglaubte Nonchalance der Seventies im Styling durchsetzt, könnten allerdings alle bald aussehen wie Scharping nach Dienstschluss. Das wäre was.

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