Erste Sitzung des Fünferrats

Die Expertenkommission zur Hochschulmedizin muss ab heute die Quadratur des Kreises lösen: Es geht um die Frage, wie sich 98 Millionen Euro jährlich einsparen lassen, ohne das Uniklinikum Steglitz zu schließen
von SABINE AM ORDE

Alles scheint denkbar, nur eine medizinische Hochschule wie in Hannover nicht

Sie haben eine riesige Aufgabe vor sich und verdammt wenig Zeit. In nur drei Monaten soll die Expertenkommission zur Hochschulmedizin Vorschläge zu einer Strukturreform vorlegen und dabei eine zentrale Vorgabe des Senats erfüllen: Ab 2006 sollen die Zuschüsse des Landes um jährlich 98 Millionen Euro sinken.

Eine Variante besteht in der Schließung der Medizinischen Fakultät der Freien Universität (FU) und der Umwandlung des Universitätsklinikums Benjamin Franklin (UKBF) in Steglitz in ein Regionalkrankenhaus, wie es die rot-rote Regierung in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben hat. Die Kommission, nach massiven Protesten eingesetzt, wird versuchen, dazu eine Alternative zu finden. Heute tagt sie zum ersten Mal.

Vier Herren und nur eine Frau wollen die schwere Aufgabe schultern: Der Vorsitzende der Kommission ist der langjährige Generalsekretär des Wissenschaftsrats, Winfried Benz, hinzu kommen drei Mediziner und die ehemalige Hamburger Finanzsenatorin Ingrid Nümann-Seidewinkel (SPD). Kritiker bezweifeln, ob die Aufgabe der Kommission überhaupt zu lösen ist, ohne einen Standort der Universitätsmedizin zu schließen. Wissenschaftssenator Thomas Flierl (PDS) glaubt – zumindest öffentlich – allerdings fest daran. Die Experten hätten der Kommission zugestimmt und durchaus einen Ruf zu verlieren, so das Argument des Senators.

Alle fünf Kommissionsmitglieder haben vereinbart, vor ihrem Treffen öffentlich nichts kundzutun. Ganz anders sieht es mit den sechs ständigen Gästen der Kommission aus, den Vertreten von Universitäten und Hochschulmedizin. Sie haben kein Stimmrecht, aber sie müssen Auskunft geben – und tun dies bereits jetzt gerne der Öffentlichkeit.

Dass Doppel- und Dreifachstrukturen am UKBF und den beiden Standorten der Charité in Mitte und Wedding (Rudolf-Virchow-Klinikum) abgebaut werden müssen, ist allen Beteiligten klar. Theoretisch schon seit Jahren. Nur wollte niemand seine eigenen Pfründen preisgeben. Damit dürfte die Expertenkommission jetzt Schluss machen.

Martin Paul, Dekan des Fachbereichs Medizin an der FU, will auch unter dem Sparzwang alle drei Klinikstandorte erhalten – mit einer „echten Schwerpunktsetzung“ hält er das für möglich. Anders als jetzt könnte sich ein Klinikum in der Forschung zum Beispiel auf Tumor-, ein anderes auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen spezialisieren. Dennoch müssten die Kliniken weiterhin die komplette Krankenversorgung anbieten, und auch in der Lehre sollen alle Fächer vorhanden sein, meint Paul.

Der Mann hinter Flierl, Wissenschaftsstaatssekretär Peer Pasternack (parteilos), hält das nicht für nötig. Möglich sei, dass beide Fakultäten bestehen bleiben, aber keine Vollausstattung mehr haben, sagte er im Interview mit der taz. FU-Studenten müssten dann einen Teil ihrer Ausbildung an der Charité absolvieren und umgekehrt. „Das ist Profilierung, und davon halte ich viel“, sagt Pasternack.

Neben der Schwerpunktsetzung wird eine wichtige Frage sein, in welcher Rechtsform die beiden Klinika künftig betrieben werden – wenn sie denn beide erhalten bleiben. Mehrere Varianten sind in der Diskussion. Von einer Privatisierung oder Teilprivatisierung ist die Rede, von einer medizinischen Hochschule oder einer Holding, und sogar eine Stiftungsuniversität ist im Gespräch.

Durch eine Rechtsformveränderung allein wird zwar bei den Sanierungskosten gespart. Die 98 Millionen Euro, die der Senat als Einsparsumme festgelegt hat, aber sind die Landeszuschüsse, die jährlich in Lehre und Forschung am UKBF fließen. Zum Vergleich: Die Charité bekommt 161 Millionen Euro. Ändert sich die Struktur der Häuser nicht, bleiben diese Summen erhalten.

Zu möglichen Rechtsformen will sich die Wissenschaftsverwaltung derzeit nicht äußern. Man wolle der Expertenkommission nicht vorgreifen, heißt es. Allein eine medizinische Hochschule, wie es sie zum Beispiel in Hannover gibt, schloss Pasternack aus. „Das ist keine Option“, so der Staatssekretär. „Dafür ist die heutige medizinische Forschung zu eng mit den klassischen Naturwissenschaften verbunden.“ Diese würden aber in einer medizinischen Hochschule nicht in dem Ausmaß gelehrt wie an einer Universität.

Dass Doppel- und Dreifachstrukturen abgebaut werden müssen, ist allen klar

Joachim Dudenhausen, Dekan des Fachbereichs Medizin an der Charité, hat eine Fusion der beiden Unikliniken ins Gespräch gebracht. Für ihn ist klar, dass mit den dramatischen Einsparungen nur eine medizinische Fakultät und ein Uniklinikum finanzierbar ist. Deshalb favorisiert er einen Zusammenschluss – unter dem Dach seiner Humboldt-Uni. Dass dieser Vorschlag bei seinem UKBF-Kollegen Paul nicht auf viel Gegenliebe stößt, verwundert nicht.

Auch über die Äußerungen von Charité-Verwaltungsdirektor Bernhard Motzkus dürften die Kollegen in Steglitz nicht gerade entzückt sein. Motzkus hatte schon vor Wochen kundgetan, zur Umwandlung des UKBF in ein Regionalkrankenhaus gebe es keine Alternative. Motzkus strebt für den traditionsreichen Standort Mitte eine Privatisierung an. Eine private Firma, die nicht an die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes gebunden wäre, könnte zum Beispiel Krankenversorgung und Verwaltung übernehmen. Forschung und Lehre blieben in der Zuständigkeit des Landes. Für das marode Bettenhochhaus, das Motzkus gerne verkaufen würde, hat er sogar schon ein Hotel ins Gespräch gebracht. Für diese Vorschläge aber können sich Charité-Chefs wie der Ärztliche Direktor Manfred Dietel nicht begeistern. Deshalb ist wahrscheinlicher, dass die Bundeswehr, die für ihr Krankenhaus einen neuen Standort sucht, ins Bettenhochhaus zieht. Eine Zusammenarbeit zwischen dem Bundeswehrkrankenhaus und der Charité wird seit langem geprüft.

Die Expertenkommission wird all das erörtern, drei Monate lang. Ihre Empfehlung soll sie im Juni vorlegen, der Senat will dann schnell einen Beschluss fassen. Dieser soll dann wiederum dem Wissenschaftsrat zur Begutachtung vorgelegt werden, der im November ein Votum abgeben soll. Dann wird sich das Abgeordnetenhaus mit notwendigen Gesetzesänderungen befassen. Verbindlich für den Senat ist die Empfehlung der Kommission nicht. Karl Max Einhäupl, der Vorsitzende des Wissenschaftsrats, der die Kommissionsmitglieder mit ausgewählt hat, geht aber davon aus, dass der Senat wegen des „hohen Gewichts des Wissenschaftsrats“ dessen Empfehlung akzeptieren wird. Wissenschaftssenator Flierl hat sich ähnlich geäußert. Das gilt natürlich auch, wenn die Experten keine Alternative zur Schließung des UKBF finden – und damit letztlich doch umgesetzt wird, was seit Dezember im rot-roten Koalitionsvertrag steht.