Scusi, Signori. E ciao!

Nachdem man mit B-Kader das erbärmlich schwache Juventus Turin 3:1 abfertigte, macht sich bei Bayer Leverkusen neues Selbstbewusstsein breit und die Hoffnung auf ein abgeklebtes Viertelfinale

aus Leverkusen BERND MÜLLENDER

Die Uefa-Champions League ist bekanntlich eine große Geldmaschine, die die Bedeutung des nationalen Meistertitels mancherlands zur Nostalgieveranstaltung herunterwürdigt. CL ist auch, wenn eine Kinderschar die alberne Mittelkreis-Erdfahne (Uefa-Jargon: „der Sterneball“) schütteln muss zur schwülstigen Hymne, bei der sich übrigens erschreckend viele Menschen im Stadion aus irgendeinem niederen Reflex erheben.

Aber CL ist noch mehr: gezielte Uniformität. Alle Stadiondekorationen, Werbebanden, Ordner-Leibchen („Steward“) und Gestaltungen der Innenräume haben zwischen Moskau und Porto streng einheitlich zu sein. Uefa-Inspektoren durchforsten vorher die Arenen, verbannen jedes falsche Bierglas und tauschen selbst Aschenbecher aus. „Unglaublich, was da abgeht“, sagte ein Bayer-Mitarbeiter. Der Kühlschrank im Presseraum bekam ein Vorhängeschloss: „Die falsche Wassermarke. Kein Uefa-Sponsor.“ Selbst die Zapfhähne von Cola-Automaten werden mit rotem Klebeband entworben.

Es mag an solchen Sinneswechseln gelegen haben, dass nach Leverkusens fulminantem 3:1 gegen die wahrhaft alte Dame Juve manche Aussage durchgeschüttelt schien. Bayer-Trainer Klaus Toppmöller erklärte, dass Ballack „schwer verletzt mit Grippe“ ausgefallen sei. „Nach der Verarsche vom Hinspiel“ (Nebelchaos; 0:4) war dies, so der Coach: „Mein schönstes Fußball-Erlebnis“. Kollege Marcello Lippi, der fatal an den jungen Derwall erinnert, redete den desaströsen Auftritt seiner Combo schön: Juventus habe nach der Pause „das Spiel komplett gedreht“. Scusi, Signore: Ein paar Minuten Aufwachen aus der Lethargie sind keine Drehung. Leverkusen mit einem Yildiray Bastürk, der nachgerade überirdisch wirbelte, hatte die abwehrporösen und überforderten Italiener lange vorgeführt. Schon zur Pause wäre mindestens ein 3:0 angemessen gewesen. Der zwischenzeitliche Ausgleich war ein Hohn, löste indes die Angst aus, dass wieder die italienischen Momente triumphieren könnten: diese nervende Mischung aus Dusel und Abgebrühtheit.

Doch Bayer kam mit Leidenschaft zurück, dass Rudi Völlers Äuglein nachher um die Wette strahlten: „Die erste Halbzeit war sensationell. Ein herrlicher Fußballabend, erste Sahne.“ Und nach der Euphorie ein kluger Satz: „Bayers zweiter Anzug ist besser als der zweite Anzug von Juve.“ Beide hatten ohne fünf Stammkräfte gespielt. Der grandiose Reservist Thomas Brdaric, zum Foulelfer gelegt und Torschütze zum 2:1: „Ich werde es dem Trainer jetzt so schwer wie möglich machen, mich nicht mehr aufzustellen.“

Solches Selbstbewusstsein ändert Leverkusens Lage womöglich nachhaltig. Bis zum Juve-Spiel glaubte man, die Stammcombo sei allmählich ausgebrannt, die Reservisten nicht titeltauglich. Jetzt ahnen sie, wie stark sie womöglich alle sind, auch Leute wie Brdaric, Babic, Berbatov, Sebescen, Vranjes. Der Aufbaugegner aus Turin als Trittleiter zur Meisterschaft?

Die Abklebungen auf den Getränkeautomaten müssen die Bayer-Mitarbeiter selbst wieder abfummeln. „Da kümmert sich keiner drum“, sagt Bayers Servicemann im CL-Zwangsshirt, „aber ich hab ja fast zwei Wochen Zeit bis zum nächsten Heimspiel.“ Nur ein Versehen kann es sein, dass der Club seinen Namen behielt: Der Bayer-Konzern ist schließlich kein Uefa-Sponsor. Sonst wäre es wie früher gewesen zu werbetechnisch reinen „Sportschau“-Zeiten. Da redeten Huberty und Freunde immer nur von Leverkusen 04.

Nächsten Mittwoch folgt der Showdown-Spieltag. Aber: Was sagt das Reglement bei möglicherweise drei punktgleichen Teams – zählen Direktvergleiche, das Torverhältniss, nur die Spiele untereinander oder alle? Rudi Völler stöhnte nach Abpfiff zunächst sachgerecht: „Die Lage? Ich weiß nichts. Die Tabelle ist sehr kompliziert.“

Es ist so: Man kann in Gruppe D mit zehn Punkten ausscheiden, und auch mit sieben weiterkommen – ausgenommen Juve, die sind „betrüblicherweise ausgeschieden“ (Lippi). Verliert Bayer, sind auch sie definitiv weg. Ein Remis hilft, wenn Juve gegen Arsenal gewinnt. Bei einem Sieg (La Coruña ist sicher weiter und kann mit Drittelf spielen) darf sich die BayArena zum Viertelfinale aufs Zukleben freuen.