■ Leserinnen fordern über den patriarchalen Tellerrand hinaus zu schauen
: Männern den Proviant verweigern

betr.: „Was ziehen wir uns an?“ von Dilek Zaptcioglu, taz vom 8. 3. 02 (Dossier)

Wenn es eine Folge des 11. Septembers ist, dass der Islam als eigentlich friedliebende Religion enthüllt und damit vor allem die islamischen Menschen vom Bild des Vernichtungswahns befreit werden, wenn infolgedessen muslimische und westliche Frauen über ihre Friedensvisionen ins Gespräch kommen, dann ist das eine ausgesprochen positive Reaktion auf etwas so Unaussprechliches wie dieses Attentat. Wenn Dilek Zaptcioglu schreibt, wir wären „nach postmodernen Irrungen wieder am Anfang, in der Moderne“ gelandet, so ist auch diese Erkenntnis eine positive Konsequenz des 11. September: zu erkennen, dass fast alle scheinbare Emanzipation der westlichen Frauen auf einem Verwirrspiel des Denkens beruht.

Denn wie frei sind wir, und was ist Freiheit eigentlich? Die Freiheit, sich alles leisten zu können? Als westliche Frau sind wir unter anderem dem Konsumterror westlicher Globalisierungsstrategie zum Opfer gefallen. Um einen Dialog zwischen Frauen westlicher und östlicher Kulturen in Gang zu setzen, bedarf es der Analyse, inwieweit wir westlichen „freien“ Frauen von der Globalisierung profitieren, und der Bereitschaft, auf diese Privilegien zu verzichten, das ist eine Grundvoraussetzung, sich über kulturelle Grenzen hinweg zu solidarisieren.

Damit dieser Dialog aber zu langfristig fruchtbaren Ergebnissen führt, täte es vor allem Not, Bilder vom Frau-Sein zu entwerfen, die uns wirklich vom männlichen Diktat befreien. Und ich frage mich, wieso jetzt wieder, diesmal von islamischer Seite, nachdem das taoistische Yin-Yang die westliche Welt bereits überschwemmt hat, die Ergänzung der friedliebenden Frau und des kämpferischen Mannes, im Westen als Venus und Mars bekannt, zur Vision für Frieden erhoben wird? Die „gefühlvolle, warmherzige, zärtliche Frau“ und der „starke, harte, mehr auf Verstand als auf Herz hörende Mann“ als zwei auseinandergeschnittene Teile eines ursprünglich ganzen Apfels, die zusammenkommen müssen, damit Ordnung ist in der Welt? Wieder mal soll die Frau ihre Erotik einsetzen, um den aggressiven Mann zu besänftigen? Wir schaffen es offensichtlich kaum, über den patriarchalen Tellerrand hinauszuschauen, darüber hinauszudenken.

Wie Gernot Rotter auf der taz-Veranstaltung „Erotik im Islam“ ganz richtig gesagt hat, etablierte sich der Islam auf den Resten einer matriarchalen Sozialordnung, die bereits im Patriarchalisierungsprozess begriffen war. Auch Fatima Mernissi benennt in ihrem Buch „Harem“ damit in Zusammenhang stehende und in islamischen Ländern noch existierende Reste matriarchaler Kulthandlungen aus vorislamischer Zeit. Es hat das Matriarchat als ganz andere, wirklich friedliebende Gesellschaftsform in vorislamischer wie in vorchristlicher Zeit genauso wie in vorbuddhistischer und vorhinduistischer Zeit auf der ganzen Welt gegeben, und es gibt immer noch matriarchale Kulturen. Allerdings haben auch sie zunehmend Mühe, sich gegen die Globalisierung und die damit einhergehende massive Umweltzerstörung ihrer Lebensräume zu behaupten.

Hier sind Frau und Mann nicht zwei Hälften eines Apfels, denn aus matriarchaler Sicht ist es unsinnig, eine Ganzheit zu zerteilen, die nur halbe Menschen schaffen würde. Hier sind die Frauen der (Apfel-)Baum, welcher unter anderem den Stammbaum der mütterlichen Linie verkörpert. Dieser Baum bringt Äpfel hervor wie Frauen Kinder und die vielfältigen Früchte ihrer sozialen und ökonomischen Tätigkeiten. Der Mann ist immer das Geborene, wohl auch ein Apfel, aber niemals ein Apfelbaum.

Frauen und Männer sind gleichwertig, aber nicht gleich. Um Frieden bemühen sich oft beide Geschlechter, wenn es um die Lösung innerer oder äußerer Konflikte geht, aber die Frauen sind auch hier die treibende und ausschlaggebende Kraft. Denn wie auch Dilek Zaptcioglu in besagtem Artikel schreibt, haben sie viel weniger Interesse daran, die Männer, die sie ja einmal selbst geboren und großgezogen haben, in einen sinnlosen Krieg zu schicken. Im Unterschied zu Frauen im Patriarchat haben sie aber auch die ökonomische Macht, dies zu verhindern, indem sie wie einst die indianischen Irokesinnen den Männern den Proviant verweigern, wenn diese in den Krieg ziehen wollen, den die Frauen missbilligen.

Wenn im heutigen matriarchalen Juchitan (Mexiko) ein Mann einer Frau Gewalt antut, verweigert sie ihm in Zukunft die Versorgung mit Nahrung, wofür sie zuständig ist und worüber sie alle Handhabe hat, denn sie besitzt das Haus und verwaltet die Lebensgüter. Oftmals wirft sie ihn auch gleich ganz raus, was sie ohne weiteres tun kann, denn sie ist ja eine ganze Frau – nicht beschnitten und zu einer Hälfte erklärt, die ohne die andere Hälfte Mann nicht leben kann. URSA STEIN, Berlin