„In der Mitte ist viel Platz“

„Die Bundesregierung hat sich längst mit einem Alleingang der USA gegen den Irak abgefunden“

Interview BETTINA GAUS
und ULRIKE HERRMANN

taz: Rechnen Sie nach der Entscheidung für Edmund Stoiber als Kanzlerkandidat der Union mit einem polarisierten Wahlkampf? Im Augenblick versucht er ja, sich zur Mitte hin zu orientieren.

Guido Westerwelle: Edmund Stoiber könnte im Netzhemd auf die Love Parade gehen und er würde damit kein Liberaler der Mitte. Er steht für einen grundkonservativen Gesellschaftsentwurf. Das meine ich keinesfalls abschätzig, sondern nur beschreibend. Auf der anderen Seite gibt es Herrn Schröder, der mit der SPD in Richtung Grüne und PDS abmarschiert. Für Blau-Gelb in der Mitte ist viel Platz.

Aus welchem Lager erhoffen Sie sich denn die größten Zuwächse?

Zurzeit können wir ein Drittel unseres Zuwachses auf ehemalige Unionswähler zurückführen, denen eine grundkonservative Ausrichtung nicht gefällt und die auch das Gefühl haben, die Union habe sich noch nicht ausreichend erneuert. Ein Drittel gewinnen wir von ehemaligen Rot-Grün-Wählern, die enttäuscht sind, weil sie eine Politik der neuen Mitte erwartet haben und die Politik der alten Linken bekommen. Und dann gibt es die wichtige Gruppe der bisherigen Nichtwähler und der Erstwähler. Auch da gewinnt die FDP ein Drittel hinzu. Die FDP ist die neue Jugendbewegung in der Parteienlandschaft, während die Grünen mittlerweile ein sich auswachsendes westdeutsches Generationenphänomen sind.

Wird sich diese Analyse auch bei den bevorstehenden Wahlen in Sachsen-Anhalt bestätigen?

In Sachsen-Anhalt ist die Situation eine andere, weil wir dort stärker in unmittelbarer Konkurrenz zur PDS stehen. Wir wollen dort ja ausdrücklich mit unserer Politik für soziale Marktwirtschaft gegen bürokratische Staatswirtschaft auch bisherige Wähler der PDS gewinnen, die merken, dass die PDS keine Probleme löst. Sie braucht Probleme, um politisch erfolgreich sein zu können.

Wie schätzen Sie denn Ihre Aussichten ein?

Sehr optimistisch. Unsere kompetente und sympathische FDP-Generalsekretärin Cornelia Pieper ist die beliebteste Politikerin in Sachsen-Anhalt. Sie hat Traumwerte.

Das geht Joschka Fischer auf Bundesebene genauso, ohne dass die Grünen davon profitieren.

Es gibt einen Unterschied. Herrn Fischers Partei liegt laut Umfragen in Sachsen-Anhalt bei zwei Prozent, während die FDP dort schon bei sieben Prozent steht. Die Wähler merken, dass die FDP die Zeit in der Opposition genutzt hat. Wir haben uns personell, strategisch und programmatisch neu aufgestellt. Das wird augenscheinlich auch gerade in Ost- und Mitteldeutschland honoriert. Die FDP hat ein Jahr mit geradezu sensationellen Erfolgen auf kommunaler und auf Landesebene hinter sich. Jedermann kann erkennen, dass die FDP nicht das Beiboot irgendeiner anderen Partei ist. Sie hat einen eigenständigen Politikentwurf, eine eigene Geisteshaltung, ein eigenes Lebensgefühl. Die letzte Umfrage von Allensbach sah uns bei rekordverdächtigen 13,2 Prozent.

Also bei fast 18 Prozent?

Dafür brauchen wir weniger als ein Prozent Zuwachs pro Monat bis zur Wahl.

Mit wem möchten Sie denn Ihr Programm auf Bundesebene am liebsten verwirklichen?

Am allerliebsten wäre mir ein Ergebnis, das es uns ermöglicht, mit beiden vorübergehend größeren Parteien zu verhandeln. Ob Schwarz-Gelb oder Rot-Gelb: beides ist in jedem Falle besser als Rot-Grün, erst recht wenn die PDS jetzt dazukommen soll. Diesen Satz werden Sie von mir noch so oft hören, dass Sie als Journalistinnen ihn am Ende des Wahlkampfes rückwärts aufsagen können.

Schließen Sie eine Ampel aus?

Kategorisch. Können Sie sich Herrn Trittin und mich in einem Bundeskabinett vorstellen? Das ist doch Realsatire.

Machen wir die FDP-Linie konkret: In den letzten Wochen ist viel über die mögliche Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe diskutiert worden. Sie sind dafür. Warum?

Wenn man Bürokratie abbauen kann, ohne dass dies zu Einbußen an der Lebensqualität führt, dann soll man das tun. Mit der Zusammenlegung dieser beiden steuerfinanzierten Sozialleistungen könnten nach unseren Unterlagen etwa 3,5 Milliarden Bürokratiekosten pro Jahr eingespart werden.

Und was halten Sie von Leistungskürzungen?

Das ist ein anderes Kapitel. Ich bin gegen eine Kürzungsdiskussion, ich bin für eine Strukturdiskussion. Wir müssen die steuerfinanzierten Leistungen des Staates von der Bereitschaft zur Gegenleistung abhängig machen. Die mangelnde Treffsicherheit unseres Sozialstaates ist das Problem. Die große Mehrheit der Sozialhilfeempfänger hat ein sehr schweres Schicksal, aber eine größer werdende Minderheit richtet sich im Sozialstaat ein. Die kostet genau das Geld, das bei den Bedürftigen nachher fehlt. Wer jung und gesund ist und keine eigenen Angehörigen zu versorgen hat, der bekommt nach den Vorstellungen der FDP künftig nur noch dann Steuergelder ausgezahlt, wenn er zur Gegenleistung an die Gesellschaft bereit ist. Das kann die Bereitschaft zur Arbeitssuche sein, das kann Umschulung sein, das kann in letzter Konsequenz auch bedeuten, dass er Angebote zur gemeinnützigen Arbeit annimmt.

Der Sachverständigenrat der Bundesregierung sagt, dass netto – also nach Abzug der offenen Stellen – 5,5 Millionen Arbeitsplätze in Deutschland fehlen. Wie soll ein Sozialhilfeempfänger die von Ihnen geforderte Gegenleistung erbringen können?

Wir haben in Deutschland keinen Mangel an Arbeit, wir haben einen Mangel an bezahlbarer Arbeit. Es geht nicht darum, ein Niedriglohnland zu schaffen. Dagegen wende ich mich. Es geht vielmehr darum, die Lohnzusatzkosten und die Bürokratiekosten zu senken. Sie verteuern die Arbeit unverhältnismäßig. Allein die Schattenwirtschaft und die Schwarzarbeit haben derzeit ein Volumen von über 300 Milliarden Umsatz pro Jahr. Das allein wären sehr viele Arbeitsplätze.

Thema Zuwanderung. Sehr lange hat man da gar nichts von der FDP gehört, und plötzlich tauchen Sie aus der Versenkung auf. Ging es Ihnen vor allem darum, mal wieder auf sich aufmerksam zu machen?

Die FDP hat als erste Partei einen Gesetzentwurf eingebracht, der regeln sollte, wie die Zuwanderung besser an unseren wohlverstandenen nationalen Interessen ausgerichtet werden kann. Uns jetzt vorzuwerfen, wir hätten da nicht genügend öffentlichen Druck gemacht, ist wirklich unfair. Das Problem ist auch weniger, was in dem von Rot-Grün beschlossenen Entwurf drinsteht – das Problem ist, was dort nicht drinsteht. Beispielsweise ist die Frage ausgeblendet worden, was mit den Zuwanderern passiert, die sich nicht integrieren lassen wollen.

Halten Sie nicht angesichts der ursprünglich sehr großen Meinungsverschiedenheiten zwischen den Parteien die Details, über die jetzt noch gestritten wird, für einen Streit um des Kaisers Bart?

Wenn die SPD könnte, wie sie wollte und die Union täte, was sie sollte, und wenn man dem Vorschlag der FDP folgte, ein Vermittlungsverfahren durchzuführen, dann ließe sich schnell eine Lösung finden.

Sie bemühen sich um den Eindruck, die FDP sei die einzige wahre Partei der Mitte. Meinen Sie, dass die Koalition mit Roland Schill in Hamburg diesem Bild zuträglich ist?

Koalitionen auf Landesebene sind bei uns Sache der Landesverbände.

Aber Sie haben doch sicher einen Rat erteilt.

Die Hamburger FDP hat sich an das gehalten, was sie vor der Wahl versprochen hat.

Wir fragen den Bundesvorsitzenden der FDP trotzdem, wie glücklich er über die Hamburger Koalition ist.

„Können Sie sich Herrn Trittin und mich im selben Bundeskabinett vorstellen? Das ist doch Realsatire!“

Das ist das erste Mal, dass die taz sich für meine Glücksgefühle interessiert. Aber ich sehe keine Notwendigkeit, zu dieser Frage etwas über das hinaus zu sagen, was ich gesagt habe. Das Thema Schill ist übrigens auf Bundesebene spätestens seit der Kandidatur von Herrn Stoiber erledigt.

Sie haben im letzten Jahr den Bundespräsidenten öffentlich angegriffen, weil dieser meinte, man könne nicht allein auf die Tatsache stolz sein, ein Deutscher zu sein. Finden Sie diese Angriffe im Rückblick heute noch richtig?

In der Sache ja. Ob ich die Diskussion aber noch einmal in dieser Form auf den Bundespräsidenten konzentrieren würde, wage ich zu bezweifeln.

Warum?

Weil er der Bundespräsident ist. Ich bin unverändert der Meinung, dass man das Thema der nationalen Identität nicht den Rechtsradikalen überlassen darf, aber ich hätte meine Kritik auch allgemeiner adressieren können. Der Bundespräsident weiß übrigens von mir, dass ich das heute so sehe.

Besonders kritisch haben Sie sich in den letzten Tagen zur Außenpolitik der Bundesregierung geäußert. Was stört Sie?

Nach meinem Eindruck hat sich die Bundesregierung längst mit einem Alleingang der USA gegen den Irak abgefunden. Dabei wäre es gerade jetzt angebracht, beim Gipfel in Barcelona auf eine einheitliche Haltung der Europäischen Union zu drängen. Anschließend müsste der deutsche Außenminister zügigst persönlich nach Washington reisen. Warum tut er das nicht? Weil er Angst hat, das, was er in Washington sagt oder zu hören bekommt, könne ihm innenpolitisch nicht ins Konzept passen. Ich halte es für einen großen Fehler, dass er derzeit meint, er könne sich auf ein paar Telefonate beschränken.

Fischer hat sich doch gerade ziemlich kritisch über den Kurs der USA geäußert.

Ja, über Medien. Der Außenminister unterhält sich mit unseren Verbündeten über Zeitungsinterviews. Das ist unseriös. Gerade als Anhänger der deutsch-amerikanischen Freundschaft bin ich der Meinung, dass Bündnis nicht Gefolgschaft bedeutet, sondern gelegentlich auch offene, kritische Worte verlangt. Und zwar zu einem Zeitpunkt, wo man den Entscheidungsprozess in Washington hoffentlich noch beeinflussen kann. Der deutsche Außenminister meint, es genüge, Ende April in die USA zu reisen. Da kann es bereits zu spät sein.

Sie haben von der „Arroganz der Macht“ gesprochen, nachdem der Bundeskanzler am Montag die Partei- und Fraktionschefs über die außenpolitische Lage informiert hat. Was meinten Sie damit?

Die Regierung pflegt einen empörenden Umgang mit dem Parlament. Es geht mir weiß Gott nicht darum, prekäre Informationen öffentlich zu machen. Aber ich möchte wissen, warum die Fuchs-Panzer in Kuwait stehen und welchen Auftrag die Marine im Golf von Aden tatsächlich hat. Und ich möchte nicht aus der Zeitung erfahren, welche Einsätze von Spezialkräften wo durchgeführt wurden. Wir haben nämlich eine Parlamentsarmee und keine Regierungsarmee, und wir Abgeordnete tragen die Verantwortung. Diese Regierung riskiert mit ihrer skandalösen Informationsverweigerung den Konsens im Bundestag.