Implodierender Tagtraum

■ Verfremdenden Firnis entfernt: Restaurations-Schau von WOLS legendärer „Komposition, 1947“ in der Kunsthalle

Das Bild ist ein Meilenstein der Malerei am Beginn des die Fünfziger Jahre dominierenden Informel-Stils. Und so wurde WOLS' Komposition, 1947 schon bald, nachdem der Maler an einer Fleischvergiftung gestorben war, kunsthandelstauglich gemacht und in den USA mit zwei Firnisschichten überzogen. Eine solche Maßnahme aber hätte dem Künstler Alfred Otto Wolfgang Schulze, der sich WOLS nannte, widerstrebt. Und so wird das der Hamburger Kunsthalle gehörende Bild jetzt in jahrelanger Arbeit von den Kunstharzschichten befreit und restauriert.

Wie das vor sich geht und in welchem Kontext das Gemälde steht, zeigt jetzt eine Kabinettausstellung. Neben weiteren Bildern und früheren, surrealistisch anmutenden Zeichnungen von WOLS verweist die Schau mit Werken von Dubuffet, Fautrier oder Giacometti auf WOLS' künstlerisches Umfeld im Nachkriegs-Paris. Und damit die hinter dem Event-Betrieb eines Museums oft übersehene Arbeit des Bewahrens auch gewürdigt wird, ist ein eigener Raum der Erläuterung der Restaurierung und ihrer Werkzeuge gewidmet.

Der 1913 in Berlin geborene Beamtensohn Wolfgang Schulze lebte seit 1932 als Fotograf und Zeichner in Frankreich und war erst als Kriegsdienstverweigerer, dann als unliebsamer Ausländer immer wieder inhaftiert oder auf der Flucht. Erst 1946 begann er mit der Ölmalerei, wurde im Kreis der Existenzialisten um Sartre bekannt und bekam erste Ausstellungen. Ohnehin von labiler Gesundheit, starb er 1951 an einer Lebensmittelvergiftung – und wurde zu einem kunsthistorischen Mythos.

„Um sehen zu können, muss man nichts können, außer sehen können“, kritzelte WOLS etwa während des Krieges in ein kleines Tagebuch. Und wirklich sind die aus der Zeichnung entwickelten Bilder des Informel nicht gegenstandslos. Es fällt zwar schwer, in ihren implodierten Räumen das Figürliche zu sehen, aber es existiert. WOLS' Frau Gréty sagt, dass die als Kopf deutbare, aber auch schon mit einer Atomexplosion verglichene Komposition, 1947 einen traurigen Esel mit Strohhut darstelle, wie sie ihn 1933 in Spanien auf der Flucht gesehen hätten. Auch zu L'Inachevée von 1951 weiß sie eine Geschichte: Das wie die ferne Ahnung einer Orchidee bildmittig von Lasuren umgebene Farbgebilde sei ein Porträt von ihr mit einem eigens entworfenen Theaterhut. Aber es zeigt nicht den entspannten Nachmittag, an dem die Hutmacherin Gréty einen auszuliefernden Auftrag aufsetzte: Hier offenbar sich eher die Schnittstelle zwischen Tag- und Albtraum. Hajo Schiff

Im Blickfeld: WOLS - Komposition, Hamburger Kunsthalle; bis 12. Mai. Katalog, 60 S., 8 Euro