Muff in der Magensonde

■ F. J. Degenhardt sang für die alten Kumpanen

Was, das Väterchen Franz gibt es immernoch? Ja, und wenn er in jeder Dekade einmal ins Bremer Schauspielhaus eingeladen wird, dann kriegt er die Bude auch immernoch mit alten Wegstreitern voll. Und gleich mit dem ersten Lied wollte er am Mittwoch abend zeigen, dass er sich nach wie vor einmischt: Zum 11. September hat er ein Streitlied, nein doch eher einen Leitartikel gesungen – von den „neuen Dimensionen“ in der Politik, und dazu war sogar eine elektrisch verzehrte Gitarre (Sohn Kai begeleitet seinen Vater) zu hören.

Aber die Feindbilder sind die gleichen geblieben, und wenn am Schluß dann wiedermal die alte Frage gestellt wird, ob Deutschland wieder bereit für einen „Führer“ wäre, dann ist das Ganze endgültig als Alterstarrsinn zu bewerten. Das Publikum fand's prima, spiegelte Franz Josef Degenhardt doch offensichtlich seine Befindlichkeiten.

Am Verkaufstisch im Foyer waren die Schallplatten fast genauso begehrt wie die CDs, und wenn Degenhardt über den „neuen Menschen“ sang, und mit seinem typisch süffisanten Ton Worte wie „Handy“ oder „Internet“ ausspuckte, dann war die kumpelige Heiterkeit groß. Denn das kann er: Mit seiner schneidend, bedrohlichen Stimme eine ganz eigene, düster-makabere Stimmung schaffen. Das Wort Schmuddelkinder kann man gar nicht lesen, ohne seinen Tonfall dabei im Ohr zu haben, und jetzt sang er in der ersten Zeile eines neuen Liedes von „Plattenbausiedlungen“, und man wußte einfach, dass es spätestens in der dritten Stroph Tote geben würde. Franz Josef Degenhardt ist wahrscheinlich der Letzte, der Schauerlieder singt.

Die Gattung war eigentlich schon zu seinen besten Zeiten obsolet, aber er kann einem auch heute noch mit seinen Moritaten eine Gänsehaut machen. Von alten Männern hat er dabei schon immer gesungen, jetzt ist der 70jährige selber einer, und so handelt jedes zweite Lied von Tod: „Die Einschläge kommen näher“, und so beschreibt er die Bererdigung eines alten Freundes als ein kurzes Heimkehren in seine Heimatstadt, die jetzt mehr Apotheken als Kneipen hat. (“Niemand besoffen, alle krank!“).

Es wird viel Wein getrunken mit „alten Kumpanen“ in Degenhardts Liederprogramm, vielleicht merkt er es ja nicht, aber der „kleinbürgerliche Muff“, den er so gerne den Anderen andichtet, war an diesem Abend deutlich bei ihm und seinem Publikum zu spüren.

Die zögerlichen Modernisierungsversuche fielen dabei eher störend auf: So gibt es plötzlich ausgerechnet in seinen Liedern Amerikanismen: Auf „Blues“ reimten sich die „news“ und ein Song hieß gar „So What“. What's wrong with „Na und“? Letzlich konnte Degenhardt immer nur in einem Register singen: Schaurig muß es sein, keiner kann die Idylle so vergiften wie er. Andere Töne klingen falsch, und so war ein Verhörer des Rezensenten wohl nicht nur fruchtbar, sondern auch konsequent: Degenhardt mag ja von der „Morgensonne“ gesungen haben, aber ich habe „Magensonde“ verstanden.

Wilfried Hippen