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Alltagsdialoge auf der Brücke

Alle zwei Jahre macht die Kunstwelt in Istanbul Station. Abseits der Biennale aber internationalisiert sich die Kunstszene der Stadt, zwischen Willen zur Globalität und Gefahr der Selbstorientalisierung

von ULLI ALLMENDINGER

Türkische Kunst besteht nicht nur aus Teppichen, Keramik und Messingtellern – das ist dem Westen spätestens seit der ersten Istanbul Biennale 1987 aufgegangen. Doch neuste Entwicklungen haben sogar in Istanbuls Kunstszene für Verblüffung gesorgt. Als „Galerist“, eine der jüngsten und innovativsten Galerien im schicken Macka-Einkaufsviertel, Anfang des Jahres eine Soloshow des in der Türkei geborenen und in New York lebenden Cyberphilosophen Haluk Akakce eröffnet hat, wurde der Hand voll alteingesessener, immens einflussreicher und meist sehr konservativer Kunstsammler schnell klar, dass zeitgenössische Kunst nun auch endlich den Markt erobert hat. Denn während sich die alten Herren noch über Akakces provokante Mischung aus Sciencefiction-Fantasie, dekorativer Illustration und Computeranimation echauffierten, mussten sie erkennen, dass der größte Teil der Ausstellung bereits am Eröffnungstag ausverkauft war.

Unbemerkt ist in der Türkei eine neue Generation von Kunstsammlern herangewachsen: Jung, trendy und oft im Ausland ausgebildet oder lebend, verkörpern diese Mittdreißiger eine neue, binationale Weltanschauung – und haben neben Geschmack auch das nötige Kleingeld. „Wir sehen hier eine türkische Variante des Young-British-Artists-Phänomens, und viele Saatchis warten nur auf den richtigen Moment, um zuzuschlagen“, sagt der 31-jährige Galeriebesitzer Murat Pilevneli, der neben internationalen Stars wie Kutlug Ataman, Ayse Erkmen und Ebru Özsecen auch weniger bekannte Künstler wie zum Beispiel die 27-jährige Malerin Leyla Gediz repräsentiert, die erst auf der Istanbul Biennale im Herbst letzten Jahres ihren Durchbruch hatte. Der jungenhafte, leger in Jeans und Turnschuhe gekleidete Durchstarter Pilevneli fügt – in fließendem Deutsch – hinzu: „Endlich wird zeitgenössische Kunst auch hier ernst genommen und nicht nur als Freakshow oder Vergnügungspark abgetan. Einflussreiche Sammler können es sich momentan einfach nicht mehr leisten, diese Tatsache zu ignorieren, ohne den Anschluss zu verpassen.“

Biennale als Katalysator

Was auf den ersten Blick jedoch wie ein Wunder aus heiterem Himmel scheint, sind eher die Früchte jahrelanger Bemühungen. Denn zeitgenössische Kunst in der Türkei ist ein junges Phänomen – war sie doch bis in die 80er-Jahre hinein staatlich belagert und auf Stillleben und Denkmäler beschränkt. Erst nach dem Militärputsch im Jahre 1980 folgte der Anschluss an das globale Wirtschaftssystem, und mit den unzähligen Stadtbauprojekten – der zweiten Brücke über den Bosporus, der neuen Untergrundbahn, Wolkenkratzern und Designerboutiquen – ist auch der Wunsch gewachsen, auf kultureller Ebene die internationale Schaubühne zu betreten.

Die Biennale, von der „Istanbul Foundation for Culture and Arts“ 1987 ins Leben gerufen, war der Katalysator für weitere Entwicklungen. Fulya Erdemci, langjährige Direktorin der Biennale und seit kurzem freischaffende Kuratorin und Kunstkritikerin, erinnert sich: „Erst in den letzten zehn Jahren haben wir angefangen, einen Dialog mit der internationalen Kunstszene aufzunehmen. Allmählich sind dann die Kunsthochschulen, von Banken finanzierte Galerien und Kunstresidenzen nachgezogen.“

Was sich jedoch nur langsam verändert hat, ist die Wertschätzung zeitgenössischer Kunst. „Für Festivals wie die Biennale begeistern sich die Menschen sehr schnell“, resümiert Fulya Erdemci, „und doch scheinen sie dann wenig mit dem Gebotenen anfangen zu können.“ Selbst wenn die 7. Istanbul Biennale im Herbst letzten Jahres mehr als 54.000 Besucher anzog, ist diese Zahl bescheiden, bei 12 Millionen Einwohnern. Was fehlt, ist Infrastruktur vor Ort. Bis vor kurzem bedeutete zeitgenössische Kunst in der Türkei eine Reihe vereinzelter Ereignisse, die schon fast zyklisch zum Zeitpunkt der Biennale geschaffen wurden. Alle zwei Jahre erwachte Istanbuls schlummerndes Kunstmilieu zum Leben, brachte ein oder zwei Ausstellungen hervor und versank wieder im Koma, nachdem die Biennale-Hysterie vorüber und ausländische Kuratoren und Kritiker verschwunden waren.

Nur langsam haben sich in den letzten Jahren Institutionen herausgebildet, die versuchen, diese Lethargie ein für allemal zu durchbrechen. Was „Galerist“ für den Kunstmarkt ist, sind „Platform“ und „Proje4L“ für den nichtkommerziellen Sektor. „Platform“, im Herzen der geschichtsträchtigen Fußgängerzone der Istiklal Caddesi gelegen, ist eine Mischung aus Archiv, Bibliothek und Ausstellungsraum – ein Labor eben, in dem neben Soloshows von Künstlern wie Carsten Nicolai oder Haluk Akakce auch Lesungen und Diskussionsreihen stattfinden. „Proje4L“ hingegen ist Istanbuls erstes und einziges Museum für zeitgenössische Kunst, im Finanzviertel Levent – Istanbuls Wall Street – gelegen. Die Einrichtung umfasst neben 1.300 qm Ausstellungsfläche auch einen Buchladen und ein Café. Beide Institutionen, gerade mal ein halbes Jahr alt, werden von Vasif Kortun geleitet, den viele für die entscheidende Triebkraft der Istanbuler Kunstszene halten.

Auch er ist jung und hat als ehemaliger Direktor und Kurator der 3. Istanbul Biennale 1992 neben dem Gespür für die Eigenheiten der Kunstszene vor Ort auch als Museumsdirektor am Bard College in den Vereinigten Staaten die notwendige Auslandserfahrung gesammelt. Er hat frischen Wind in die muffelige Szene gebracht und sich zum Ziel gesetzt, viel mehr als nur Ausstellungsräume zu schaffen. Im Büro, während das Telefon fast ununterbrochen klingelt, Künstler ein- und ausgehen und die Hand voll junge Mitarbeiter geschäftig am Computer sitzen, versucht Vasif Kortun, seinen Drahtseilakt in Worte zu fassen: „Ehrlich gesagt, bedeutet mir das Erbe des euroamerikanischen Museums wenig, aber man darf nicht vergessen, dass die Leute hier noch nicht mal das gehabt haben. Ich muss also ständig schauen, was hier gefehlt hat, und gleichzeitig dem Bedürfnis nach Zeitgenössischem nachkommen.“

Kein Ghetto-Kurator

Wie so viele Künstler der neuen Generation blickt auch Vasif Kortun über den nationalen Tellerrand hinaus, sieht sich eher als Teil der globalen Sphäre, nirgends und doch überall zu Hause. Während uns das heute schon fast selbstverständlich erscheint, war es für ihn ein steiniger Weg. „Ich musste wie ein Hund arbeiten, da ich mich immer geweigert habe, landesspezifische Shows zu machen und ein so genannter Ghetto-Kurator zu werden“, sagt er und fährt mit erhobener Stimme fort: „Ich repräsentiere weder die Türkei noch türkische Künstler, gar niemanden. Ich bin, wer ich bin und kann überall auf der Welt mein Ding machen – sei es eine Biennale oder eine Institution.“ Ganz bewusst arbeitet er gegen die Gefahr der Selbstorientalisierung und hat sich als bisher einziger Kurator geweigert, die Biennale 1992 im historischen Viertel Sultanahmet – mit der Haghia Sophia, dem ottomanischen Topkapi-Palast und dem großen Basar das Postkartenidyll schlechthin – abzuhalten.

Viele Künstler schließen sich dieser Haltung an. Sie haben es satt, in binären Oppositionen zu denken und das Klischee Istanbuls als Brücke zwischen Ost und West zu Tode zu trampeln. So hat Esra Ersen in ihrer Videoarbeit „Hello, where is it?“ (2000) die Gespräche in drei Fahrzeugen beim Überqueren der Bosporus-Brücke aufgenommen. Es sind ganz banale Themen, die dort diskutiert werden – Partnerschaftsprobleme, Arbeitslosigkeit, ab und zu ein Witz über das Erdbeben im Jahre 1999. Erst wenn die Schilder mit der Aufschrift „Willkommen in Europa“ auf der einen Seite und „Willkommen in Asien“ auf der anderen sichtbar werden, erkennt der Zuschauer, dass diese tägliche Routine der Istanbuler im politischen Diskurs oftmals in das Gegensatzpaar Ost – West eingezwängt wird.

Dem hat sich auch der Künstler Hüseyin Alptekin angenommen und die „Sea Elephant Travel Agency“ gegründet – ein Projekt, das sich neben Westeuropa auch den Regionen um das Schwarze und das Baltische Meer herum zuwenden will. Denn während nicht nur türkische, sondern auch Künstler aus Russland, Rumänien oder der Ukraine gen Westen streben, ist der Austausch dieser Regionen untereinander gleich null. Dabei sehen sie sich oft mit denselben Fragestellungen konfrontiert: Wo stehen wir – global gesehen? Warum werden wir im Westen immer nur als Gruppenpaket „Ost“ vermarktet? Warum liefern wir uns den exotischen Klischees, die der Westen hören will, aus? In der Podiumsdiskussion Kaffeehauskonversationen, die im Herbst letzten Jahres anlässlich der Biennale organisiert wurde, hat es Hüseyin Alptekin auf den Punkt gebracht: „Wir haben jegliche Art von geografischen, historischen oder kulturellen Konnotationen satt – sei es Ost, West, der Orient, Europa, Asien, Nord, Süd oder Brücke. Wir müssen lernen, diese Referenzen, Metaphern, Symbole und Anspielungen zu vergessen und auszulöschen, um dann nach neuen Bedeutungen und Inhalten suchen zu können.“

Young Turkish Artists

Wie einst die jungen Briten Damien Hirst und Tracey Emin, so sehen sich auch die neuen Türken als Dilettanten und Rebellen, die sich weder anpassen noch vermarkten lassen wollen. Dabei ist es sicher von Vorteil, dass Istanbul trotz Aufschwung, einer sichtbar jungen Kunstsammlerelite und neuen Institutionen wie Platform oder Proje4L noch nicht ganz Teil der westlichen Kulturindustrie geworden ist. Scheinwerfer werden immer noch nur alle zwei Jahre, zum Zeitpunkt der Biennale, gen Osten gerichtet.

Während sich in Istanbul der Frühling ankündigt und in den Straßencafés bei Raki und Meze-Platten bis spät in die Nacht diskutiert und gefeiert wird, ist der internationale Kunstzirkus schon längst zur nächsten Biennale getingelt und treibt sich dieser Tage – anlässlich der Whitney Biennale – wohl in den schicken Bars von Manhattan herum. Vasif Kortun ist das gerade recht. Ihm ist momentan viel wichtiger, dass die Eröffnung von Kutlug Atamans „Women Who Wear Wigs“ im Proje4L Museum glatt über die Bühne gegangen ist – war es doch für den in der Türkei geborenen und in Madrid lebenden Künstler, der gerne mal aneckt und hierzulande wohl am besten für seinen Film „Lola und Bilidikid“ von 1998 bekannt ist, die erste Soloshow in der alten Heimat. Ob die Kunstszene gerade noch in New York oder schon in São Paulo tanzt, ist dabei einerlei. „Es ist doch immer dasselbe Spiel“, sagt Vasif Kortun achselzuckend. „Eines Tages wird der Westen entdecken, dass Istanbul der neuste Schrei ist, dies dann ein oder zwei Jahre auskosten – nur um danach stillschweigend zum nächsten Trend zu tingeln.“ Damit wendet sich Vasif Kortun wieder seinem Laptop zu, sucht sein schrill klingelndes Handy, schreibt schnell noch ein Fax und ist schon hinaus ins abendliche Gedränge der Istiklal-Fußgängerzone.

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