Späte Karriere aus familiären Gründen

Die 49-jährige Rechtsprofessorin Gertrude Lübbe-Wolff wird Jutta Limbach am Bundesverfassungsgericht ablösen

Im Gespräch war Gertrude Lübbe-Wolff schon mehrfach, jetzt wird sie doch noch Verfassungsrichterin. Heute wählt sie das Wahlgremium des Bundestags aller Voraussicht nach zur Nachfolgerin von Jutta Limbach. Die Bielefelder Rechtsprofessorin wird zwar von der SPD vorgeschlagen, ist aber – anders als die ausgewiesene Politikerin Limbach – parteilos. Ihr Vater Hermann Lübbe war ein bekannter SPD-Politiker.

Mit Gertrude Lübbe-Wolff zieht eine ausgewiesene Umweltrechtsexpertin in den zweiten Senat. Derzeit ist sie sogar Vorsitzende des Sachverständigenrats für Umweltfragen, ein Amt, das sie nun aufgeben muss. In Karlsruhe wird sie zwar nicht die erste Umweltrechtlerin sein, aber anders als Udo di Fabio, der ein Gutachten für die AKW-Betreiber schrieb, und der neue Präsident Hans-Jürgen Papier, der häufig für Wirtschaftsverbände tätig war, steht sie nicht den jeweiligen Anlagenbetreibern nahe.

Praktische Erfahrungen hat sie vielmehr von 1988 bis 1992 als Leiterin des Wassserschutzamts der Stadt Bielefeld gesammelt. Anschließend wurde sie Professorin an der Bielefelder Universität.

Entsprechend praxisnah und doch reflektiert sind auch ihre Überlegungen zur Zukunft des Umweltrechts, die sie jüngst in der Neuen Zeitschrift für Verwaltungsrecht veröffentlichte. Sie warnt dabei vor einer Überschätzung marktwirtschaftlicher Steuerungsmechanismen wie Verschmutzungszertifikaten. Auch hier sei aufwändige staatliche Kontrolle nötig, wenn es sich bei den neuen Instrumenten nicht um einen bloßen „Bluff“ handeln solle.

Über die angebliche Verfassungswidrigkeit der Ökosteuer wird Lübbe-Wolff nicht mitentscheiden. Hierfür ist der erste Senat zuständig. Vermutlich dürfte sie aber über die noch nicht eingereichte bayerische Klage gegen den rot-grünen Atomausstieg mitberaten können.

Die Bielefelder Professorin war schon zweimal als Verfassungsrichterin im Gespräch, zuletzt als Kandidatin der Grünen. Doch beide Male lehnte sie mit Verweis auf ihre vier Kinder eine Kandidatur ab. Auch ihr Mann, der Philosophieprofessor Michael Wolff, hatte zuvor einen Ruf an die Uni Münster aus familiären Gründen abgelehnt. Mittlerweile ist die jüngste Tochter jedoch zwölf Jahre alt, so dass Lübbe-Wolff ihre – vermutlich letzte – Chance auf der Karriereleiter doch noch ergriffen hat.

Als Nachfolgerin von Jutta Limbach hätte Lübbe-Wolff sogar Vizepräsidentin und Senatsvorsitzende werden können. Nach dem Ausscheiden des neuen Präsidenten Hans-Jürgen Papier wäre die 49-Jährige in acht Jahren dann sogar selbst Präsidentin geworden. Aber nun hat es sich die SPD anders überlegt. Als Vizepräsident wird heute der seit 1996 amtierende Richter Winfried Hassemer gewählt. Ein cleverer Schachzug, denn Hassemer wird ein Jahr vor Papier ausscheiden, so dass sein Nachfolger nur ein Jahr Vizepräsident und elf Jahre Präsident des Verfassungsgerichts sein wird. Nach einer Proporzregel wechselt das Vorschlagsrecht von SPD und Union auf das Präsidentenamt bei jedem Amtswechsel.

Für Lübbe-Wolff muss das nicht unbedingt schlecht sein. Nicht alle Richter finden die eher repräsentative Aufgabe an der Spitze des Bundesverfassungsgerichts schließlich attraktiv.

CHRISTIAN RATH