Beraten und verkauft

Was wird für Erwerbslose getan, die schon qualifiziert, flexibel, mobil, kreativ und sogar „profiled“ sind? Nichts. Erfahrungsbericht und Tipps eines motivierten Arbeitslosen

Wer jemandem wie mir weiterhelfen will, muss aus zwei 60-Stunden-Jobs drei 40-Stunden-Jobs machen

Seit 18 Monaten ist es mein Ziel, mich in einem eventuellen Wettbewerb zur Ermittlung des motiviertesten Arbeitslosen Deutschlands ganz vorne zu platzieren. Früher glaubte ich noch, dadurch einen Job zu finden – Arbeitslose sind ja immer viel zu anspruchsvoll –, doch mittlerweile begnüge ich mich damit, ein lebender Gegenbeweis zu den offiziellen Verlautbarungen über Arbeitslose und ihre Eigenschaften zu sein:

Arbeitslose geben sich keine Mühe? Also versende ich 32 Hochglanzbewerbungen in vier Wochen. Arbeitslose sind unzureichend qualifiziert? Also lasse ich mich auf eigene Initiative zum Online-Redakteur fortbilden. Wer wirklich einen Job haben will, der kriegt einen? Also füttere ich die größte Job-Suchmaschine im Internet, den „Jobrobot“, mit dem Suchbegriff „Online-Redakteur“ und nehme die bundesweite Trefferquote von null Einträgen … na, sagen wir sportlich.

Doch plötzlich tauchen mit der Jagoda-Pleite, Vermittlungslüge und Job-Aqtiv-Gesetz neue Herausforderungen auf. Da Arbeitslose bekanntlich etwas unflexibel sind, droht dieser Silberstreif am Horizont der arbeitsmarktpolitischen Diskussion mein Weltbild ins Wanken zu bringen: Sollte hier etwa ein konstruktiver Vorschlag … nicht auszudenken!

Als motiviertester Arbeitsloser in spe sitze ich also auf eigene Initiative als einer der ersten von 4,3 Millionen bei meiner netten Arbeitsvermittlerin, die mich prompt in eine „Profiling-Maßnahme“ steckt: Dort werde man mich individuell beraten, dort würde ich mehr über meine Stärken und Schwächen erfahren, wertvolle Bewerbungstipps erhalten und zu guter Letzt mit ihr eine Eingliederungsvereinbarung aushandeln. Der Arbeitslose verpflichtet sich per Unterschrift, eine zumutbare Arbeit anzunehmen, während das Arbeitsamt im Gegenzug definierte Vermittlungsbemühungen erbringt. Alles in allem ein fairer Deal, auch wenn mir bei dem vieldeutigen Wörtchen „zumutbar“ etwas unwohl zu Mute ist.

So schön sich das alles anhört und obwohl in dem Gesetz ein vernünftiger Kern steckt, wird es Makulatur bleiben und die Arbeitslosigkeit nicht senken. Denn es setzt wieder nur einseitig bei tatsächlichen oder vermeintlichen „Defiziten“ der Erwerbslosen an – ohne die Zahl der verfügbaren Jobs zu erhöhen. Was also soll mit Leuten geschehen, die wie ich längst qualifiziert, flexibel, mobil, motiviert, kreativ, leistungsstark, fortgebildet, zu Abstrichen bereit und nun auch noch „profiled“ sind? Es ist so simpel, dass ich mir langsam wie ein Berichterstatter aus Absurdistan vorkomme, aber die Diagnose ist eindeutig: Ebenso wenig wie einem Michael Schumacher der getunte Ferrari etwas nützt, wenn er damit am Berliner Ring im Stau steht, nützt jemandem wie mir die schönste Profiling-Maßnahme, wenn die Straße in den ersten Arbeitsmarkt chronisch verstopft bleibt.

Aus den Antworten der von mir kontaktierten Unternehmen geht klar hervor, dass pro Stellenausschreibung wie bereits vor 20 Jahren hunderte Bewerbungen eingehen, wodurch es einem 38-jährigem Quereinsteiger nahezu unmöglich gemacht wird, sich zu integrieren. Denn die wenigen freien Jobs werden mit Leuten besetzt, die jünger sind, die von andern Firmen frisch entlassen wurden oder die sich aus bestehenden Arbeitsverhältnissen wegbewerben. Wir brauchen deshalb mehr Jobs, damit die Maßnahmen des Job-Aqtiv-Gesetzes überhaupt greifen können.

Wer jemandem wie mir weiterhelfen will, sorgt also am besten dafür, dass aus zwei 60-Stunden-Jobs drei mal 40 Stunden oder auch zwei mal 40 Stunden plus zwei mal 20 Stunden werden. Dabei denke ich nicht an eine tarifvertragliche Regelung für alle Branchen mit vollem Lohnausgleich etc., sondern an freiwillige betriebliche Vereinbarungen, die es gut situierten Beschäftigten erlauben, kürzer zu treten, Lebensqualität zu gewinnen und von Leuten wie mir entlastet zu werden.

Flankiert werden könnte eine solche Jobsharing- und Teilzeit- Offensive erstens durch einen konstruktiven gesellschaftlichen Dialog, der die 1,8 Milliarden offiziell geleisteten Überstunden öffentlich skandalisiert, statt den Arbeitslosen wider besseres Wissen den schwarzen Peter zuzuschieben. Zweitens könnten die Milliardenbeträge, die man für die Verwaltung der Arbeitslosigkeit aufwendet, in eine innovative Steuerpolitik umgelenkt werden, welche die Verteilung der vorhandenen Arbeit auf mehr Köpfe begünstigt. Statt nur dem Kamel in den Hintern zu treten, müssen wir endlich auch das Nadelöhr vergrößern!

Ohne eine betriebs- oder volkswirtschaftliche Kostenrechnung leisten zu können, sagt mir die Alltagslogik, dass reguläre Überstunden für Arbeitgeber ziemlich teuer sind, so dass bereits von der betrieblichen Kostenseite her ein gewisser Verteilungsspielraum zur Schaffung neuer Teilzeitjobs besteht. Allerdings nur, wenn die hohen Lohnnebenkosten, die die Arbeitgeber immer wieder als Hindernis ins Feld führen, durch steuerliche Begünstigungen so kompensiert werden, dass sie die finanziellen Mehraufwendungen bei der Schaffung des neuen Arbeitsplatzes ausgleichen. Wer freiwillig Überstunden abbaut und einen Erwerbslosen einstellt, sollte also steuerlich so belohnt werden, dass sich dieser Schritt auszahlt. Da die öffentliche Hand nach vorsichtigen Schätzungen jährlich mindestens 60 Milliarden Euro für die Verwaltung der Arbeitslosigkeit und ihrer Folgen aufwenden muss, handelt es sich lediglich um eine Umschichtung vorhandener Mittel. Der institutionelle und politische Aufwand zur Umsetzung dieses Vorschlags würde sich durch die Stärkung der Binnenkonjunktur und die Entschärfung der größten sozialen Herausforderung der deutschen Nachkriegsgeschichte auszahlen.

Damit das Job-Aqtiv-Gesetz überhauptgreifen kann, brauchen wir einfach mehr Arbeitsplätze

Die Unternehmen hätten zudem die Chance, sich durch innovative Formen der Arbeitsorganisation mittelfristig Wettbewerbsvorteile zu verschaffen, denn Mitarbeiter, die weniger arbeiten, sind produktiver, zufriedener und seltener krank.

Das „Problem“ meines Vorschlags dürfte sein, dass sich wirklich alle bewegen müssten: die Unternehmen, indem sie eine Teilzeitkultur auch im qualifizierten Beschäftigungssegment fördern; die Gewerkschaften, indem sie den Unternehmen in puncto Flexibilisierung entgegenkommen; die Politik, indem sie der Versuchung widersteht, die Wahlen auf Kosten des ausgegrenzten Drittels zu gewinnen; und last not least die Arbeitslosen, indem sie Integrationsangebote annehmen.

Bislang scheint sich die arbeitsmarktpolitische „Kreativität“ in Deutschland jedoch in dem Vorschlag zu erschöpfen, ausgerechnet ältere Arbeitslose durch Leistungskürzungen zu Jobs zu „motivieren“, die es für sie gar nicht gibt. Angesichts dieses Niveaus lohnt es sich wohl auch kaum, sich darüber zu beklagen, dass die Qualität meiner „Profiling-Maßnahme“ in einem EDV-Betrieb (in Berlin-Neukölln) absolut indiskutabel war. Denn das wäre schließlich wieder eine ganz andere Geschichte aus Absurdistan. LARS RIEBOLD