Frankreich energetisch isoliert

Auf dem EU-Wirtschaftsgipfel soll heute über die weitere Liberalisierung des europäischen Energiemarktes verhandelt werden. Vor allem auf dem Programm stehen aber wohl wahltaktische Bremsmanöver. EU-Kommissar droht mit Intervention

von NICK REIMER

Ein neuer Prüfstein für den europäischen Anspruch: Beim heute beginnenden EU-Wirtschaftsgipfel in Barcelona steht die Liberalisierung der Energiemärkte auf der Agenda. Schon der erste Versuch scheiterte vor Jahresfrist – am französischen Veto. Und auch diesmal steht es schlecht: In sechs Wochen finden in Frankreich Präsidentschaftswahlen statt, und die Regierung Jospin will es sich mit den Gewerkschaften nicht verscherzen.

Vor zwei Jahren hatte die EU in Lissabon das Ziel ausgerufen, bis 2010 der „weltweit dynamischste und wettbewerbsfähigte Wirtschaftsraum“ zu werden. Als wesentliche Voraussetzung dafür sieht die Kommission die Öffnung der Energiemärkte, auf denen jährlich 250 Milliarden Euro umgesetzt werden. Mehr Wettbewerb soll zu Preiseinsparungen von 15 Milliarden Euro und damit zu einem entscheidenden Standortvorteil führen. Vor einem Jahr legte die Kommission einen Zeitplan vor: Unternehmen sollen ab 2004 europaweit ihren Stromversorger frei wählen können, ab 2005 dann auch die privaten Haushalte. Im Prinzip finden alle EU-Regierungen diesen Zeitplan gut. Nur Frankreichs Linksregierung nicht: Die Kommunisten und ihre Gewerkschaft CGT, die 54 Prozent der Betriebsvertreter aller 116.500 EdF-Beschäftigten stellen, sind strikt gegen die Liberalisierung.

Die französische Blockade sei ein „nicht akzeptables Vorgehen“, kritisierte Österreichs Finanzminister Karl-Heinz Grasser dieser Tage. „Die Franzosen wollen eine Monopolrente im eigenen Land abschöpfen und mit vollen Kriegskassen Energiefirmen in Europa einkaufen.“

„Es liegt auf der Hand, dass vor der Wahl keine umfassende Öffnung zustande kommt“, dämpfte EU-Kommissionspräsident Romano Prodi deshalb gestern die Erwartungen an den Gipfel. Allerdings will er die EU-Wirtschafts- und Finanzminister wenigstens zu einem Kompromiss drängen: Sie sollen sich auf ein präzises Datum für die Marktöffnung zugunsten gewerblicher Abnehmer verständigen und – wenn auch ohne Datum – die spätere Liberalisierung zugunsten privater Abnehmer fest versprechen. „Wir müssen nach dem Gipfel sagen können, dass die EU alles getan hat, um die Kosten für Energie zu senken.“ Mit dem Kompromiss wäre viel erreicht: Geschäftskunden machen 60 Prozent des EU-Marktes aus.

Für den Fall, dass Frankreich an seiner Politik festhält, schloss der EU-Kommissionspräsident die Anwendung von Artikel 86 des EG-Vertrags nicht aus. Dieser schreibt Unternehmen mit Dienstleistungen von öffentlichen Interesse – also auch Stromanbietern – vor, dass sie die allgemeinen EU-Wettbewerbsregeln erfüllen müssen. Anderenfalls hat die Kommission ein Interventionsrecht.