Kölner ignorierten EU-Richtlinie

Neues Dokument: Ex-Regierungspräsident Antwerpes (SPD) wusste, dass der Auftrag für den Kölner Müllofen europaweit ausgeschrieben werden musste. Trotzdem griff er nicht ein, als das Projekt vergeben wurde – ohne europaweite Ausschreibung

aus Köln SEBASTIAN SEDLMAYR

Der Kölner Schmiergeldskandal geht weiter. Ein neu aufgetauchtes Dokument belastet jetzt auch den ehemaligen Kölner Regierungspräsidenten (RP) Franz-Josef Antwerpes und den Ex-Oberstadtdirektor der Domstadt, Lothar Ruschmeier (beide SPD). In einem Schreiben des Regierungspräsidenten vom 20. 9. 1993, das der taz vorliegt, heißt es, die „Richtlinie 92/50/EWG“ sei nach einem Erlass des Wirtschaftsministeriums vom 14. 6. 1993 „von der öffentlichen Verwaltung bereits jetzt schon anzuwenden“. Im Klartext: Öffentliche Ausschreibungen müssen europaweit erfolgen.

Antwerpes wusste also bereits 1993 um die Verbindlichkeit der europäischen Richtlinie. Trotzdem korrigierte der Regierungspräsident nicht die Auftragsvergabe zum Bau der Kölner Müllverbrennungsanlage (MVA) an die Firma Steinmüller als Generalunternehmer am 24. 1. 1994, der keine europaweite Ausschreibung vorangegangen war.

Franz-Josef Antwerpes sieht das so: Zum Zeitpunkt der Ausschreibung war die Richtlinie nicht nationales Gesetz und daher „nicht in Kraft“. Mit der Frage, warum er als RP nicht interveniert habe, könne er deshalb „nichts anfangen“.

Ex-Oberstadtdirektor Ruschmeier, Vorsitzender des Aufsichtsrates der Abfallverwertungsgesellschaft (AVG), ließ seinen Anwalt mitteilen, er könne sich nicht an ein solches Schreiben vom RP erinnern. Es „mag aber durchaus sein“, dass die Verwaltung angewiesen worden sei, von der Richtlinie Gebrauch zu machen. Nur, so argumentiert Ruschmeier, sei die AVG von der Pflicht der europaweiten Ausschreibung entbunden gewesen. Denn „die damalige Geschäftsführung der AVG [Ulrich Eisermann, d. Red.] und mit ihr der Aufsichtsrat der AVG [Vorsitzender Lothar Ruschmeier, d. Red.] sind gutachterlich beraten davon ausgegangen, dass die AVG an die Vergaberichtlinien der öffentlichen Hand nicht gebunden sei“. Der Grund: Die AVG war zwar zu 74,9 Prozent in öffentlicher Hand, aber privatrechtlich organisiert. Der Rat der Stadt Köln hatte 1992 mit den Stimmen von SPD und CDU beschlossen, die AVG als teilprivates Unternehmen zu gründen. Mit 25,1 Prozent beteiligte sich die Trienekens AG. Petra May (Grüne), 1994 im Aufsichtsrat der AVG, resümiert: „Trienekens trug kein Risiko, aber er hatte die Chance auf Gewinn.“

In der Neuen Juristischen Wochenschrift, Nr. 20/1995, heißt es: „Bei Konflikten zwischen Gesellschaftsinteressen und Gemeindeinteressen ist zu prüfen, ob die gewählte privatrechtliche Gesellschaftsform gegenüber dem öffentlichrechtlichen Eigenbetrieb noch die bessere Organisationsform ist.“

Ruschmeier rechnete am 16. 3. 1995 vor, dass im Fall eines politisch gewollten Ausstiegs aus der MVA Forderungen in Höhe von 540 Millionen Mark fällig würden. Die Stadt übernahm einige Wochen später 691,2 Millionen Mark Bürgschaften für die AVG. Schon damals rechneten die NRW-Umweltministerin Bärbel Höhn (Grüne) und Anti-Müll-Initiativen vor, dass die MVA überflüssig ist. Kein Interessenskonflikt?

Aus der Ausschreibung für die MVA gehe hervor, dass Steinmüller nicht das beste Angebot abgegeben habe. Das sagen zwei, die es wissen müssen: Robert E. Hinder, ehemaliger Mitarbeiter der Ecoling AG in der Schweiz, sagte dem Kölner Stadt-Anzeiger, Steinmüller habe nur auf Platz drei gelegen. Die Ecoling AG war an der Ausschreibung beteiligt. Dass Steinmüller nicht erste Wahl gewesen sei, kann auch Petra May bestätigen.

Die Grüne May musste lange kämpfen, bis sie die Dokumente einsehen konnte. „Ich war die Einzige, die den Vertrag zwischen AVG und Steinmüller lesen wollte“, sagt sie. Die anderen Aufsichtsräte hätten sich in der Regel mit den kurzen Inhaltsangaben des Vorsitzenden Lothar Ruschmeier oder des Geschäftsführers Ulrich Eisermann begnügt. May: „Der Aufsichtsrat hat versagt.“