Mehr Mitsprache für das Volk

Rot-Grün stellt Gesetzentwurf für Volksbegehren vor. CDU befürchtet Bedeutungsverlust des Bundesrates

BERLIN taz ■ Mitbestimmen soll das Volk, aber wie viele Stimmen braucht es, damit eine Entscheidung demokratisch o. k. ist?

Gestern präsentierten die Fraktionsspitzen von SPD und Grünen der Presse in Berlin ihren Gesetzentwurf zur Einführung von Volksentscheiden im Grundgesetz. Deutlich wurde dabei, dass das so genannte Quorum der Punkt sein wird, an der die Regierung noch bereit ist, mit der Union zu reden, um deren Zustimmung zur Grundgesetzänderung zu bekommen.

Der Gesetzentwurf sieht ein dreistufiges Verfahren vor. Erstens: 400.000 Stimmberechtigte müssen unterschreiben, damit ein Gesetzentwurf per Volksinitiative in den Bundestag kommt. Zweitens: Handelt der Bundestag nicht wunschgemäß, können 5 Prozent der Stimmberechtigten (rund 3 Millionen BürgerInnen) ein Volksbegehren unterstützen. Dafür gibt es sechs Monate Zeit. Drittens: Kommen diese Unterschriften zusammen, kann ein Gesetz per Volksentscheid verabschiedet werden, aber nur – und das ist das Quorum –, wenn 20 Prozent des Wahlvolks sich beteiligen. Für eine Verfassungsänderung bedarf es einer Zweidrittelmehrheit von 40 Prozent der Stimmberechtigten. Nicht abgestimmt werden darf unter anderem über den Haushalt, Politikerdiäten und die Einführung der Todesstrafe. Ausdrücklich aber kann es „finanzwirksame Volksinitiativen“ geben: Mitbestimmung, die nichts kosten darf, funktioniert nicht.

Die Grünen-Faktionschefin Kerstin Müller erklärte gestern, dass mit diesem Gesetzentwurf „ein weiteres großes demokratiepolitisches Reformvorhaben“ der Grünen umgesetzt werde: Es „wird helfen, Ohnmachtsgefühle in der Bevölkerung gegen die da oben abzubauen“.

SPD-Fraktionschef Peter Struck sagte: „Nun ist Stoiber gefragt“, und verwies auf mannigfache Aussagen von Unionspolitikern, in denen diese sich für plebiszitäre Elemente auf Bundesebene ausgesprochen haben. Immerhin gilt des Kanzlerkandidaten Edmund Stoibers Heimat Bayern als deutsches Volkbegehrens-Musterland.

Gestern sah es jedoch nicht so aus, als sei die Union für die notwendige Zweidrittelmehrheit im Bundestag zu gewinnen: Der Vizefraktionschef Wolfgang Bosbach sagte zur taz, ein Volksentscheid werde „die Architektur des Staates grundsätzlich verändern“, da dann der Bundesrat nicht mehr an der Gesetzgebung beteiligt werde. Er warnte davor, dass durch Volksentscheide „Gesetze erster Güte“ zustande kämen, die dann die des Bundestags als „Gesetze zweiter Güte“ dastehen ließen. Außerdem gebe es im Verfahren keine Möglichkeit, einen Entwurf zu modifizieren. „Ich bin mir sicher, dass aus meiner Fraktion nicht ein Einziger zustimmen wird.“ Allzu durchsichtig sei, dass Rot-Grün mit diesem Vorstoß bloß im Wahlkampf punkten wolle.

Der Sprecher der Initiative „Mehr Demokratie“, Michael Efler, sagte zur taz, der Entwurf sei zwar spät, aber „besser als alles, was bislang im Parlament war“. Wo freilich die Schmerzgrenze wäre, sollte die Union auf höheren Hürden bestehen, wusste er gestern noch nicht zu sagen.

ULRIKE WINKELMANN