Gedrittelte Wecktöne

■ Klaus Huber erhält heute den Kultur- und Friedenspreis der Villa Ichon

Heute wird der Kultur- und Friedenspreis der Villa Ichon dem Schweizer Komponisten Klaus Huber verliehen. Huber (geboren 1924) ist eigentlich schon ein alter Bremer, und es zeichnet sich nach sieben Jahren ja auch ab, dass er bei uns bleibt. Den mit 10.000 Mark dotierten jährlichen Preis, der seit 1983 an Bremer Kulturschaffende für ein „Werk oder Wirken“ verliehen wird, das ein „Bekenntnis zum Frieden“ zeigt und von „hohem kulturellen Rang“ ist, haben schon die unterschiedlichsten Menschen bekommen.

Doch so breit das Spektrum immer war: Ein Komponist der Avantgarde war noch nie dabei. Es ehrt die Jury der Villa Ichon, die Augen auch in dieser Richtung geöffnet zu haben. Und es kann kaum einen besseren treffen als Klaus Huber, dessen Gesamtwerk in unmissverständlicher Weise zeigt, dass Ästhetik politischer und moralischer Motivation entspringt: „Ich versuche in der Musik, die ich mache, das Bewusstsein meiner Zeitgenossen, die wie wir alle zu schlafenden Komplizen weltweiter Ausbeutung geworden sind, hier und jetzt zu erreichen, zu wecken. Und dies mit einem nicht geringeren Anspruch als dem: Ihr Denken und ihr Fühlen aufzubrechen, zu erschüttern. Gerade um so viel, dass das Prinzip Hoffnung am Horizont aufzudämmern vermag – die konkrete Utopie: die Veränderung der Zukunft durch die Gegenwart“.

Als Professor für Komposition in Freiburg und Leiter des von ihm gegründeten Instituts für zeitgenössische Musik hat Klaus Huber mit seiner Haltung zwei Generationen von Komponisten geprägt. Sie gewinnt angesichts pluralistisch-beliebigen Denkens und neuerdings wieder der Entstehung irrationaler Feindbilder umso mehr an Stellenwert, als im Werk Klaus Hubers nicht nur der moralische Appell markiert wird – das wäre zu wenig – , sondern die Kompositionstechnik selbst im politischen Ereignis begründet ist. „Deshalb zögere ich nicht, meine Musik Bekenntnismusik zu nennen, sofern man bereit ist, darunter nichts Subjektivistisches zu verstehen“.

Hubers musikalisches Denken operiert mit dreierlei „Materialien“. Es nimmt vielfältig auf historische Musik Bezug, er lässt sich von Texten vom Mittelalter bis heute inspirieren wie solchen der Bibel, des nicaraguanischen Priesters und Revolutionäres Ernesto Cardenal, der christlichen Sozialistin und Mystikerin Simone Weil oder auch immer wieder der archetypischen Bilderwelt des russischen Dichters Ossip Mandelstam. Es sucht in letzter Zeit immer mehr nach Verinnerlichung und Differenzierungen der Klanglichkeit an der Grenze des Hörbaren: darin nicht unähnlich dem Spätwerk des Freundes Luigi Nono. Und Huber setzte sich in den letzten Jahren mit außereuropäischen Tonsystemen auseinander, mit Mikrotonalität und Dritteltönigkeit. Ausgelöst durch die antiarabische Propaganda im Golfkrieg will er uns die „Ohren putzen“, den europäischen Kulturimperialismus ebenso wie alle Erscheinungen einer sogenannten Weltmusik am Ende dieses Jahrtausends bekämpfen. Denn es geht ihm um „die Interaktion der so reichen wie verschiedenartigen Musickulturen unseres Planeten, so lange es diese noch gibt ...“

Mit seiner im vergangenen November in Basel uraufgeführten dritten Oper „Schwarzerde“ hat er der brutalen Unterdrückungswelt, die der Dichter Ossip Mandelstam unter Stalin erleben musste, in der Gestalt eines dritteltönig singenden Knaben die Utopie der Freiheit entgegengesetzt. Hubers „Ästhetik des Widerstands“ (Peter Weiss) fand seinen Niederschlag u.a. 1985 im heute preisgekrönten Werk „Cantiones de Circulo Gyrante“. Konzipiert in acht Gruppen für die Kölner Kirche St. Maria im Kapitol, werden Texte von Heinrich Böll, der Mystikerin Hildegard von Bingen und dem katholischen Requiem überlagert. Wir gratulieren Klaus Huber zu dem Preis und wünschen ihm und uns weiterhin so viel aufmerksame und aufgeregte Zeitzeugenschaft: „Ich kann mir schöpferische Arbeit nicht vorstellen ohne Reaktion auf die Gegenwart“.

Ute Schalz-Laurenze

Heute um 12 Uhr wird der Friedens- und Kulturpreis in einer öffentlichen Feier an Klaus Huber in der Villa Ichon am Goetheplatz überreicht