Die Augen und der Schmaus

Blumenvasen und Tischwäsche schmecken zwar nicht, aber selbst schlechte Köche können mit edlem Dekor einiges wieder wettmachen. Nach den schrillen 80ern geht der Trend heute zu dezentem Weiß

Wenn es zu spartanisch wird, hält der erste Alessi-Salzstreuer Einzug

von SOPHIE BAUER

Der Koch war ein Stümper, aber geschmeckt hat es trotzdem. Noch lange blieb mir die festliche Tafel in Erinnerung, eingedeckt mit weißem Linnen, erhellt von Hunderten von Kerzen in den unterirdischen Katakomben eines Berliner Mietshauses. Dass die gesamte Festgesellschaft hinterher an einer Darmgrippe litt, muss erwähnt werden, spielt aber bei der Einschätzung, dass dieses Essen einen grandiosen Eindruck hinterlassen hat, nur eine untergeordnete Rolle.

Dass das Auge mitisst, ist eine altbekannte Wahrheit, weshalb Genuss erst dann voll zum Tragen kommen kann, wenn sich auch die Umgebung ein bisschen Mühe gibt. Das fängt schon bei der Tischdekoration an. Als Kinder haben wir sie zwar gehasst, die Tischdecken und Sets, Serviettenringe und Blumenväschen. Aber so ganz blank am Tisch, kommt es einem allmählich auch wieder ein bisschen zu spartanisch vor. So hält irgendwann der erste Alessi-Salzstreuer Einzug, danach kommt die Pfeffermühle mit dem Peugeot-Laufwerk, und statt den Käse weiter aus der Packung zu essen, wird er auf Marmor gebettet und mit einer Glocke gedeckelt.

Dass Tischsitten und -dekor Ausdruck kultivierten Lebenswandels sind, ist in der Geschichte verankert. Berühmtheit erlangte unter anderem das so genannte „Fasanenbankett“ im Jahre 1454. Zu Ehren seiner Geliebten Lilla richtete Philipp der Gute, Herrscher von Burgund, ein Essen mit vierhundert Gängen aus. Die Tische waren mit Skulpturen, kunstvoll angerichteten Fruchtarrangements und wertvollstem Geschirr ausgestattet. Nach dem rauhen Mittelalter mit seinen Holztischen und Metbechern liebten es die Menschen in der Renaissance opulent.

Auch heute noch wird ein Festessen automatisch mit einem entsprechend festlichen Outfit des Tisches konnotiert. Allerdings ist dies Trends unterworfen. Wurden in den 80er-Jahren bunte Tischdecken mit schrillen Servietten kombiniert, geht heute der Trend zu weißen Tischlandschaften. Das Reine, Weiße soll abheben vom tristen Alltagsessen am Imbiss oder in der Kantine. Wer es sich gut gehen lassen will, verlangt nach königlichem Ambiente. Da darf auch die Weinflasche nicht mehr plump auf dem Tisch kommen, sondern wird vorab in eine Karaffe dekantiert.

Während die meisten Deutschen Maggi- und Ketchupflasche im Alltag durchaus als ständige Begleiter auf dem Tisch dulden, werden sie bei besonderen Anlässen weggeschlossen oder – womit wir wieder bei den schlechten Köchen wären – vorher heimlich ins Essen gekippt.

Essen wir nicht in heimischen Gefilden, sondern etwa in Bayern, Italien oder sonstwo in der Fremde, lassen wir uns gerne auf die dort üblichen Tischtrachten ein. Ohne kleinkarierte Tischdecken ist etwa in den Alpen kaum eine Skihütte zu denken, und in Italien oder Frankreich bleibt das Rascheln der Papiertischdecken über dem eigentlichen Leinen gerne im Ohr. Auch die Tatsache, dass Pfefferstreuer anders aussehen oder die Maggiflasche in England als HP-Soße bei Tisch Spalier steht, wird als willkommene Abwechslung gewertet. Als Souvenirs beliebt sind Wasserkaraffen, Aschenbecher und Bierdeckelständer. Nicht zuletzt muss auch das Besteck im Flugzeug daran glauben und erinnert uns bei späteren Essen an den Urlaub mit Air Condor oder LTU. Wobei letztere mittlerweile lieber Einwegbesteck ausgibt, um nicht sämtliche deutschen Haushalte mit Messer und Gabel ausstatten zu müssen.

So bestimmen Erinnerungen häufig die Eigenarten des Tischdekors. Ein völlig abgestoßener Blechteller aus Amsterdam ziert etwa seit Jahren den Tisch eines Freundes, und das Reserviert-Schild, dass bei keinem Gastmahl fehlen darf, dient als Memorial für wilde Zeiten, in denen einem in den Gaststätten nichts heilig war.

Was aber tun mit all den Dingen, die man sich gar nicht selbst ausgesucht hat? Etwa das 36-teilige Essbesteck von der Schwiegermutter mit hässlichen Plastikgriffen? Zum Wegschmeißen zu schade, und mangels Alternativen isst man sich eine Weile damit durch, doch irgendwann lässt sich das Outsourcen nicht mehr aufschieben. Dann landet der Designgrusel in irgendeiner Ferienwohnung von Freunden oder wird bei Partys vergessen.

Das hilft allerdings auch nicht immer. Nach über einem Jahr schleppte neulich ein Freund die schrecklichen sechs Teller wieder an, die ich ihm großzügig für seine Geburtstagsfeier überlassen hatte. So beleidigt ihr giftgrünes Dekor jetzt wieder täglich mein Auge, und der Traum von weißen Tischdecken und königlichem Ambiente drängt sich förmlich auf. Allein dafür lohnt sich das Essengehen.