die stimme der korrektur – wer fragt nach deir jassin?
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Als KorrektorInnen ächzen wir unter den Transkriptionsanforderungen, die George Bush und sein Kreuzzug stellen. So kommen die Namen bombardierter Orte, getöteter Menschen in fonetischer Umschreibung aus dem Arabischen ins Englische ins Deutsche. Afghanistan wurde einigermaßen und in Kürze bewältigt. Der Irak wird einfacher sein, die Namen sind schon Jahre archiviert für „Der Exorzist II“, der noch grober und grausamer werden wird. Aber was wird mit Nordkorea auf uns zukommen? Oder Jemen?

Nach Deir Yassin, einmal ein Ort in Palästina mit 400 Einwohnern, wird uns wohl niemand fragen. Hier werden am 9. April 1948 Kinder, Erwachsene, Greise mit Maschinengewehren, Handgranaten und Messern in ihren Häusern abgeschlachtet, 50 entkommen. Die Täter: die Miliz Irgun, Teil eines zionistischen Terrornetzwerkes. Der Kommandeur: Menachem Begin. „Spezialeffekt“, sagt später der israelische Geheimdienst, ist die panische Massenflucht von Palästinensern – und im Mai wird der Staat Israel gegründet. Der Lohn für den Rädelsführer: Er wird später Ministerpräsident und erhält den Friedensnobelpreis.

Für den Namen dieses Ortes gibt es keine Transkriptionshilfe, nicht in den Lexika oder Atlanten. Die Geschichte wurde umgeschrieben, der Name durch die Tat nahezu getilgt. Wenige Historiker berichten davon, und wir finden in deutschen Texten: Dir Jassin, Deir Jasin, Deir Jassin. Wir finden auch ein Gedicht der Palästinenserin Siham Daud, die fragt: „Welche Farbe trägt das Meer in unserem Land?! / Schwarz, manchmal rot (wie Deir Jassin) / Trauer wächst in ihm in der Farbe des Thymians / Und der Regen fließt in Strömen / Und wird Schießpulver und Palmen und zerschmetterte Arbeiter hervorbringen / Und Kinder, die viel lieben / Und angreifen / Ihr Land wurde Rauch, Waffen / Ihre Lager wurden kleiner als ein Schiff und kleiner als Olivenkerne.“

Der Ort wurde ausgelöscht, die Tat wiederholt am 14. Oktober 1953 im Dorf Kibye von der Armee-Einheit 101 unter dem Kommando Ariel Scharons, 1982 in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatila von fundamentalistisch-christlichen Milizen im Schutze der israelischen Armee. Scharon ist Verteidigungsminister.

My Lai, das Dorf in Vietnam, in dem 1968 alle Kinder, Greise, Frauen dem Wüten amerikanischer GIs – die M-16 auf Automatik gestellt – zum Opfer fielen, ist nicht vergessen. Vielleicht, weil die Vietnamesen am Ende die Sieger waren.

In Palästina sind die Palästinenser die Verlierer. Wer fragt schon nach Deir Jassin? ROSEMARIE NÜNNING