Atomausstieg Nr. 2

Schweden: Politik und Atomindustrie wollen nach deutschem Vorbild den Atomkraftausstieg im Konsens verwirklichen. Übergangszeiten noch unklar

aus Stockholm REINHARD WOLFF

Eigentlich sollte in Schweden im Jahre 2010 der letzte Atomreaktor vom Netz genommen werden. So hatte es zumindest eine Mehrheit der SchwedInnen 1980 in einer Volksabstimmung beschlossen. Weil diese aber laut Verfassung nur „beratenden Charakter“ hatte und der ernsthafte Einstieg in Ersatzenergien immer wieder auf die lange Bank geschoben wurde, ist dieses Datum mittlerweile illusorisch. Gerade einer von zwölf Reaktoren wurde bislang abgeschaltet: 1999 die Nummer 1 von Barsebäck. Barsebäcks Reaktor 2 wird im nächsten Jahr folgen.

Die dann vollzogene Stilllegung dieses AKW erfolgt auf der Grundlage eines lange umkämpften Sondergesetzes. Damit nun nicht für jeden neuen abzuschaltenden Reaktor dieser mühsame und von zeitweiligen Parlamentsmehrheiten abhängige Weg eingeschlagen werden muss, haben sich Regierung, Parlamentsmehrheit und offenbar auch bereits die Atomkraftindustrie darauf verständigt, sich das deutsche Ausstiegsmodell zum Vorbild zu nehmen. Am Freitag gab Wirtschaftsminister Björn Rosengren eine solche Einigung zwischen seiner sozialdemokratischen Regierungspartei und der sozialistischen „Linkspartei“ sowie dem ländlich-grünen „Zentrum“ bekannt.

Seitens der offensichtlich seit längerem in den Beratungsprozess eingebundenen Energiewirtschaft wurde vorsichtig positiv reagiert. Was kein Wunder ist: Hinter Schwedens Atomenergie stehen Unternehmen, die mittlerweile eng mit dem deutschen Markt verflochten sind: Vattenfall, das mit dem Kauf des Hamburger Stromkonzerns HEW deren AKWs und damit das deutsche Ausstiegsmodell „erbte“, sowie Sydkraft, bei der nunmehr Eon das Sagen hat.

Die Argumente für den Einstieg in das deutsche Ausstiegsmodell sind im Wesentlichen ebenfalls der deutschen Debatte abgeguckt: Für alle Seiten ergebe sich eine sichere Basis, von der aus der weitere AKW-Betrieb ebenso wie Investitionen in neue Energiequellen angegangen werden könnten. Ebenso wie in Deutschland die CDU/CSU will auch in Schweden deren konservatives Gegenstück, die „Moderaten“, überhaupt keinen Atomausstieg, und sie drohen eventuelle Gesetze zu kippen, sollten sie an die Macht kommen. Ein Szenario, das – wiederum nach deutschem Vorbild – die schwedischen Grünen und Teile der außerparlamentarischen Anti-Atom-Bewegung veranlassen könnte, ein langfristiges „freiwilliges“ Ausstiegsmodell dem Weg über Zwangsgesetze und Gerichtsverfahren vorzuziehen.

Würde man auch bei der theoretischen Lebenslänge für Atomreaktoren beim südlichen Vorbild die dortigen 32 Jahre abschreiben, müssten vier der verbleibenden zehn schwedischen Reaktoren bereits zwischen 2004 und 2008 abgeschaltet werden, die beiden letzten spätestens im Jahr 2017. Ein Zeitplan, der recht ehrgeizig wäre, da Schweden seinen Strombedarf zur Hälfte – in Deutschland gut 30 Prozent – aus Atomstrom deckt. Ab 2003 sollen zwar VerbraucherInnen und Stromproduzenten durch ein Quotensystem gezwungen werden, einen wachsenden Anteil Strom aus „erneuerbaren“ Energiequellen zu kaufen beziehungsweise anzubieten. Aber gerade solche Kraftwerke müssten erst noch gebaut werden. Neben Energie sparenden Maßnahmen – wie einem Verbot der in Schweden sehr häufigen Elektroheizungen in Wohnungen und Häusern für Neubauten – ist zunächst offenbar an einen massiven Ausbau von Windkraft und den Bau von vor allem mit Forstabfall betriebenen Wärmekraftwerken gedacht. Norwegisches Erdgas dürfte eine weitere Ersatzmöglichkeit werden.