„Ich habe mich nicht verkauft“


Nur weil ich das Gemeinsame nach vorne stelle, bin ich noch lange nicht zum Realo mutiertEs geht doch um die Frage: Wie erreichen wir mehr – in der Regierung oder in der Opposition?

Interview JENS KÖNIG
und PATRIK SCHWARZ

taz: Sie haben im Dezember angekündigt, der nächste grüne Parteitag wird von der Firma „Spreewald Gurken“ gesponsert. Hat das denn geklappt?

Claudia Roth: Nach der Titelseite der taz mit mir als „Gurke des Jahres“ schrieb die Geschäftsführung, sie würde eine neue Gurke auf den Markt bringen und sie „Unsere grüne Gurke“ nennen. Jetzt sind wir im Gespräch, dass „Spreewald Gurken“ unseren nächsten Parteitag sponsert. Das wäre doch eine angemessene Antwort auf „Die Gurke des Jahres“ in der taz.

Die Titelseite der taz, die am Tag des Parteitags in Rostock erschien, hat Sie damals sehr getroffen?

Ja. Als ich sie gesehen habe, haben mir richtig die Knie nachgegeben. Ich habe mich kaum mehr in den Saal getraut. Ich habe gedacht, du kannst auf dem Parteitag nicht mehr reden. Der Gurken-Titel ging eindeutig zu weit.

Warum?

Er griff mich als Frau an und zielte damit auf die Partei als Ganzes – und das, nachdem wir wochenlang mit der Frage gerungen hatten, was notwendige und legitime Mittel gegen den Terrorismus sind. Man kann unsere Haltung ja politisch falsch finden. Aber dann muss man sich damit auch politisch auseinander setzen und nicht persönlich. Die Auswirkungen der Titelseite reichten übrigens bis weit über die Grünen hinaus. Selbst die Damenkränzchen in meiner schwäbischen Heimat haben sich darüber ereifert, und die lesen sonst nie die taz. Mein Neffe wird in der Schule bis heute als Mini-Gurke hochgezogen. Und an Unis sollen sich sogar schon feministische Seminare mit der Titelseite beschäftigen. Der Angriff auf mich spielte ja mit Mitteln, die interessanterweise eher Frauen als Männer treffen.

Sie sind jetzt ein Jahr Chefin der Grünen. Ist das eine Ihrer Erfahrungen von Macht: eine Zielscheibe zu sein?

Ja, das ist für mich eine extreme Erfahrung. Wobei es nicht das Problem ist, wenn meine Arbeit politisch kritisiert wird. Natürlich finde ich das manchmal ungerecht oder ich verstehe nicht, warum die Leute jetzt wieder rummeckern. Aber damit kann ich ganz gut umgehen.

Und womit nicht?

Wenn ich als Frau als zwanghaft oder emotionsgeleitet beschrieben werde. Das ist wie bei Frau Merkel mit der Frisur. Das geht bis an die Grenze des Erträglichen. Da braucht man schon ein dickes Fell. Aber ich habe mir vorgenommen, mir das als Person nicht mehr gefallen zu lassen. Ich bin da kämpferischer geworden.

Sind Sie davon wirklich überrascht? Vor einem Jahr, kurz vor ihrem Amtsantritt, haben Sie selbst gesagt, der Parteivorsitz bei den Grünen sei ein Akt auf dem Hochseil.

Das bezog ich auf die politischen Auseinandersetzungen in unserer Partei. Ich habe nicht erwartet, wie stark sich die öffentliche Kritik auch gegen die eigene Person richtet – obwohl ich ja schon länger in der Politik bin. Manchmal habe ich mich gefragt: Warum machst du das alles?

Haben Sie da auch ans Aufgeben gedacht?

In Rostock ja. Ich wollte mir nicht alles gefallen lassen. Aber der nächste Gedanke war dann: Das wäre viel zu defensiv. Also mach weiter!

Haben Sie in diesem Jahr die Erfahrung aller Linken bei den Grünen gemacht, von Kerstin Müller über Ludger Volmer bis hin zu Renate Künast: Die Realos hieven sie in Machtpositionen, und dann werden sie selbst Realos?

Das ist Quatsch. Ich bin nirgendwohin „gehievt“ worden. Ich bin mit 90 Prozent der Stimmen zur Parteivorsitzenden gewählt worden, also nicht als Vertreterin des linken Flügels.

Doch.

Nein. Ich habe von Anfang an gesagt, dass ich als Parteivorsitzende integrieren will. Nur weil ich das Gemeinsame nach vorne stelle und nicht das Trennende, bin ich doch noch lange nicht zum Realo mutiert. Unsere Partei hat ein unglaublich schwieriges Jahr hinter sich. Wenn Fritz Kuhn und ich nicht versucht hätten, Kompromisse zu finden, dann hätten wir das nicht überlebt.

Ausgerechnet von Ihnen ein Lob der Geschlossenheit. Herbert Wehner hätte seine helle Freude daran gehabt.

Was ist schlecht daran, wenn eine Partei geschlossen auftritt? Ich halte das für wichtig. Es darf nur in einer Partei keine Friedhofsruhe geben – wir brauchen die lebendige Auseinandersetzung. Auf dem letzten Parteitag in Rostock haben wir uns gestritten, aber es war wichtig, dass am Ende nicht ein Lager über das andere gesiegt hat. Wir sind und bleiben eine Anti-Kriegs-Partei. Mit Joschka Fischer und mit Christian Ströbele.

Der Tagesspiegel hat neulich eine Skala grüner Realpolitik aufgemacht, von 0 (Petra Kelly) bis 10 (Joschka Fischer). Das Blatt behauptet, Claudia Roth sei als Parteivorsitzende von 4 auf 9 gesprungen.

Das hört sich alles so an, als hätte man mir einen Zipfel Macht hingehalten und ich sei vor Entzücken sanft entschlummert. Was ist denn Realpolitik? Da denke ich an den 1. August 2001. Damals war ich in Hamburg Trauzeugin, als mit einem großen Fest eine der ersten eingetragenen gleichgeschlechtlichen Partnerschaften in Deutschland gefeiert wurde. Wenn das Realpolitik ist, dann finde ich Realpolitik gut.

Wir denken bei Realpolitik an den Parteitag in Rostock. Mit der Zustimmung zum Krieg in Afghanistan haben sich die Grünen und Sie persönlich grundlegend geändert. Mit Ihrem Einsatz für diesen Beschluss haben Sie sich als zuverlässige Realpoltikerin erwiesen.

Ich sehe das differenzierter. Ich bin politische Pazifistin. Gerade aus dieser Tradition heraus habe ich aber zum Beispiel den Kampf des ANC in Südafrika und andere Befreiungsbewegungen in Lateinamerika unterstützt. Schon damals haben wir nicht ausgeschlossen, dass auch Gewalt ein legitimes Mittel von Politik sein kann.

Sie tun jetzt so, als hätten Sie Militäreinsätze schon immer befürwortet. Aber noch vor fünf Jahren haben Sie gegen den Kosovokrieg gestimmt.

Der Einsatz in Afghanistan hat immerhin ein klares UN-Mandat. Ich bin doch nicht prinzipiell für Militäreinsätze. Ich sehe mittlerweile nur, dass es Situation gibt, in denen repressive Mittel legitim und notwendig sind. Und wenn ich heute einer Beteiligung am Einsatz in Afghanistan zustimme, dann tue ich das nur in eng gesteckten Grenzen und nur, wenn es politische Konzepte für die zivile Entwicklung des Landes gibt.

Das ist rührend. Und nebenbei erdulden Sie tapfer den uneingeschränkten Führungsanspruch der USA.

Das tue ich nicht. Unsere Leitlinie heißt nicht umsonst „kritische Solidarität“. Wir Grünen werden uns zum Beispiel offensiv mit den amerikanischen Plänen für eine neue Nuklearstrategie auseinander setzen. Sie würde eine höchst gefährliche Umkehr der Abrüstungslogik bedeuten. Sie wäre zugleich eine gefährliche Abkehr vom Pakt zur Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen. Sie würde auch den Staaten keinen Schutz mehr bieten, die bewusst auf Atomwaffen verzichten. Eine solche Nuklearstrategie wäre das Gegenteil der Schlussfolgerungen, die aus den Erfahrungen der internationalen Anti-Terror-Koalition zu ziehen sind.

Sie können aber nicht leugnen, dass Sie in dem einen Jahr viel von Ihrer politischen Aura und Ihrem charismatischen Überschwang verloren haben.

Ich erlebe das anders. Eines habe ich allerdings im zurückliegenden Jahr gelernt. Ich habe nicht mehr nur Lust auf Veränderung. Ich sage jetzt auch: Ich habe Lust auf Macht.

Wie fühlt sich das an?

Es geht nicht ums Fühlen. Es darum, durch Macht Dinge zum Positiven zu verändern. Einen männlichen Politiker würden Sie übrigens vermutlich nicht nach dem Gefühl fragen – da gilt Machtanspruch als Zeichen von Politikfähigkeit. Bei Frauen wird es als Provokation empfunden.

Machen Sie jetzt hier den Westerwelle?

Nein. Zwischen uns gibt es einen großen Unterschied. Westerwelle will einfach nur an die Macht. Wir wollen Macht haben, um verändern zu können.

Und Sie sagen, Sie sind keine Realpolitikerin geworden?

Es geht um die Frage: Wie erreichen wir mehr – in der Regierung oder in der Opposition? Wie und wo können wir mehr gesellschaftlichen Druck aufbauen? Nehmen Sie die Energiepolitik. Der Atomausstieg ist doch keine Bagatelle. Hätten die Grünen da mehr erreicht, wenn sie in der Opposition gewesen wären? Oder der Afghanistankrieg: Hätten die Grünen die Koalition verlassen, gäbe es keine Protokollnotiz zum Bundestagsbeschluss. In dieser Notiz ist eindeutig und für die Regierung verbindlich festgeschrieben, dass wir uns an einem Abenteuer der Amerikaner im Irak nicht beteiligen würden.

Das macht diese Regierung manchmal so unerträglich. Sie tun so, als ob das, was Sie machen, immer das Bestmögliche und ohne jede Alternative ist.

Nein. Unser Maßstab ist, ob ein Kompromiss, so schwer er uns manchmal fällt, das Land zum Besseren verändert. Und eine Entscheidung wie der Atomausstieg ist doch kein Selbstzweck. Er setzt darüber hinaus ganz viel in Gang. Wir sind zum Beispiel Weltmeister bei der Windkraft. Neulich war ich in Magdeburg, einer Landeshauptstadt, dort ist der größte Arbeitgeber ein Hersteller von Windrädern. Ist das nichts?

Jetzt hat sich Claudia Roth selbst überzeugt, Sie haben die Partei überzeugt, jetzt müssen Sie nur noch die Wähler überzeugen. In den Umfragen stehen die Grünen zwischen 4 und 6 Prozent.

Unser Ziel ist, stärker zu werden als beim letzten Mal, also 6,7 Prozent plus x. Kommen Sie mal mit mir auf Wahlkampftour. Da werden Sie erleben, wie sehr Stoiber unsere Anhänger mobilisiert.

Die schwarze Gefahr ist jetzt das grüne Maskottchen?

Nein, aber Stoiber macht deutlich, vor welcher Alternative wir stehen. Und er ruft uns wieder ins Bewusstsein, was wir in den zurückliegenden dreieinhalb Jahren alles erreicht haben. Die Grünen leiden unter einer großen Untugend: Sie können nicht ruhig und differenziert auf die Ergebnisse ihrer eigenen Politik blicken. Auch das habe ich in diesem Jahr zu spüren bekommen. Grüne sagen tendenziell immer: Das Glas ist halb leer. Natürlich ist es gut zu sagen, das Glas muss voll werden. Aber dazu muss man erst mal sagen, dass es schon halb voll ist.

Vor einem Jahr haben Sie gefordert, dass die Grünen nicht immer nur auf die Regierung blicken, sondern vorangehen sollten. Die Grünen sollten Pfadfinder sein, sagten Sie. Jetzt geben Sie hier eine astreine Regierungssprecherin ab.

Ich erlaube mir nur, auf unsere Erfolge hinzuweisen. Abgesehen davon sind wir auch Pfadfinder. Für den Parteitag zum Grundsatzprogramm an diesem Wochenende haben wir über tausend Änderungsanträge erhalten. Das zeigt doch, diese Partei denkt weiter – über Legislaturperioden hinaus.

Ihre große Liebe neben der Partei, Ton Steine Scherben, hat vor Jahren gesungen: „Wo sind wir jetzt? Seele versetzt / Herzen verkauft / Ich halt’s nicht mehr aus!“ Erkennen Sie sich darin wieder?

Ich habe darüber nachgedacht, wo wir sind. Das ist auch wichtig – gerade nach so einem verdammt schweren Jahr wie dem letzten. Aber ich habe nicht einmal das Gefühl gehabt, dass ich meine Seele versetzt oder Herzen verkauft hätte. Sonst hätte ich nämlich aufgehört.