Lethargisches Liebesmahl

Viele lauwarme Häppchen: Brigitte Landes inszeniert John Bergers Roman „Auf dem Weg zur Hochzeit“ im Malersaal  ■ Von Karin Liebe

Der Schattenriss eines Motorrads flitzt über die Betonwände. Einmal rundherum, winzig wie ein Spielzeug. Ein niedliches Schattenspiel, symptomatisch für diesen Abend im Malersaal: Hier wird auf kleiner Flamme gekocht. Die Inszenierung scheut vor großen Gefühlen zurück, bricht sie aber auch nicht ironisch. Eine Menge Häppchen, und alle eher lauwarm, offeriert Regisseurin Brigitte Landes in ihrer Bearbeitung und Inszenierung von John Bergers melodramatischem Roman Auf dem Weg zur Hochzeit. Dabei feiert Bergers Roman das Leben bis in den Tod hi-nein. Er erzählt von der aidskranken 24-jährigen Ninon (Patrycia Ziolkowska), die in einem kleinen italienischen Küstenort Gino (Felix Klare) heiratet. Gino liebt Ninon so sehr, dass er sein Leben aufs Spiel setzt, um mit ihr zusammen zu sein.

Aber nicht nur die Geschichte des Brautpaars erzählt Berger, sondern auch die der anreisenden Hochzeitsgäste. Da ist Brautvater Jean (Martin Pawlowsky), der mit besagtem Motorrad aus Frankreich kommt, und Brautmutter Zdena (Marlen Diekhoff), die mit dem Bus aus Bratislava anreist. Beide haben sich seit 20 Jahren nicht mehr gesehen, seit dem Tag, als Zdena Mann und Kind verließ, um in ihr Heimatland, die Slowakei, zurückzukehren.

Stoff genug also für anrührende Szenen, die bei Landes nie im Kitsch münden. Als Ninon erfährt, dass sie HIV-positiv ist, will sie es zuerst nicht glauben. Sie lacht und dreht dem Arzt, viele Meter von ihr entfernt, den Rücken zu. Dann kippt ihr Gesichtsausdruck plötzlich, wird ernst und in sich gekehrt. Sie läuft langsam und nachdenklich im Kreis, wird dann immer schneller, bis Verzweiflung sichtbar wird – aber nicht ausbricht. Auch Ginos Heiratsantrag auf einem (echten!) Ruderboot kommt ohne Pathos aus. Mit fester Stimme wiederholt er immer wieder: „Ich will dich heiraten.“ Und sie entgegnet: „Nein. Nein. Nein.“ Bis sie dann doch einwilligt. Wenn Frauen nein sagen...

Eine etwas altmodische Liebesgeschichte, katapultiert ins Zeitalter von Aids, konventionell erzählt, aber nicht ohne Charme. Vielleicht hätte man es dabei belassen sollen. Aber da tummeln sich noch eine Reihe weiterer Personen auf den einfachen Holzstühlen der langen Hochzeitstafel, dazu noch in Drei- und Vierfachrollen gesteckt. Samuel Finzi gibt den Erzähler, dazu einen blinden Verkäufer, den Busnachbarn der Brautmutter und den Vater des Bräutigams. In Sekundenschnelle kippt er Stimme und Mimik vom Intellektuellen zum Schrotthändler. Seine Wandlungskraft nötigt zwar Respekt ab, ist aber letztlich ein Kuriositätenkabinett ohne Tiefgang.

Notgedrungen blass bleibt Maja Schöne in ihren undankbaren Zuhörerrollen als beste Freundin Ninons und Friseuse von deren Mutter. Und Oliver Bokern muss die seltsamsten Gegensätze verkörpern: Erst gibt er den debil wirkenden Koch, der Ninon in einem One-Night-Stand mit dem HI-Virus infiziert, dann ihren unsensiblen Arzt und später noch einen religiösen Fanatiker, dem Jean auf seiner Reise begegnet. Warum dieser „Johannes der Täufer“ und all die anderen Nebenrollen auftauchen, bleibt ein Rätsel. Vielleicht soll dieses ständige Verschleppen des Tempos die verfließende Lebenszeit suggerieren. Mit der Konsequenz, dass einen die gemächliche Reise immer weniger interessiert. Immerhin wechseln Rückblenden mit der Fahrt zur Hochzeit, und das Telefon reißt das Publikum aus der Lethargie.

Aber auch das unermüdliche Wechseln der Zeitebenen kann kaum darüber hinwegtäuschen, dass hier nicht viel Wesentliches gesagt wird. „Und was machen wir bis zur Ewigkeit?“, fragt Ninon ihren Bräutigam an der Hochzeitstafel. „Wir lassen uns Zeit“, antwortet der ganz ruhig. Mehr Zeit fürs Wesentliche, das hätte man sich auch für diesen Abend gewünscht. Mehr Tempo, mehr Mut, mehr Ironie. Ganz klein huscht das Motorrad noch einmal vorbei.

nächste Vorstellung: Freitag, 29. 3., 20 Uhr, Malersaal