Dauerhafte Revolution: Drücke nichts aus!

■ Gemeißelte Körper, zelebriertes Können: Merce Cunningham kam mit Legende und Company nach Bremen

1942 entstand mit „Credo in Us“ John Cages erstes Werk für den Tänzer Merce Cunningham, der damals noch als Solist Mitglied der Martha Graham Dance Company war. Es war der Anfang von über vierzig Choreographien, die dann für die 1953 gegründete eigene Company, die „Merce Cunningham Dance Company“ entstanden – und es war die erste von insgesamt 200 Choreographien, auf die Cunningham heute zurückblickt.

Zeitweise hat Cunningham auch mit bildenden Künstlern wie Robert Rauschenberg, Jasper Johns und John Cage zusammen gearbeitet. Im Rahmen des derzeitigen Cage-Projektes trat die Company zum ersten Mal in Bremen im ausverkauften Theater am Goetheplatz auf. Es war nicht weniger als ergreifend, welche Ovationen der 82-Jährige entgegennehmen durfte. Er hat Tanzgeschichte geschrieben, die nicht veraltet und der man heute noch anmerkt, welche Revolution sie einst gewesen sein muss.

Cunningham: „Es gibt in meinen Choreographien kein Denken ... es gibt keine Ideen und keine Bilder, es gibt nur den Körper des Tänzers.“ Dieser Versuch der Entindividualisierung traf sich mit den Ideen John Cages, der bis zu seinem Tod 1992 die musikalische Leitung der Merce Cunningham Dance Company hatte. 14 TänzerInnen kamen, um das 1968 entstandene „Rainforest“ mit der elektronischen Musik des Cage-Nachfolgers David Tudor aufzuführen – dies in der Realisierung des heutigen musikalischen Leiters der Company, Takehisa Kosugi.

In den schwebenden silbernen Heliumkissen von Andy Warhol zelebrierten die sechs in fleischfarbene, kaputte Gymnastikanzüge gekleidete – dadurch sozusagen geschlechtslose – TänzerInnen ihre höchst persönliches Können und ihre höchst persönliche Meinung über Gänge, Sprünge, Figuren, Drehungen.

Es gibt keine gemeinsame Tanzsprache, es gibt nur die Physis und die Kraft des einzelnen Tänzers. Das ist in gewisser Weise gnadenlos, weil der kleinste technische Mangel, der normalerweise im narrativen Ballett übersehen werden kann, offengelegt wird. Gleichzeitig erlaubt das eine sehr viel direktere und ehrlichere Kommunikation mit dem Publikum, das ganz einfach sieht, wenn ein Standbein allzu sehr wackelt, eine Parallele nicht exakt war oder auch eine Figur in eine nicht gewollte Expression kippt. Fast unmenschlich, was diesen Tänzern abverlangt wird: Zeige höchste Virtuosität, aber drücke nichts aus!

Dabei ist es erstaunlich, wie viel ganz traditionelle Ballettfiguren da zu sehen waren. Viele Figuren sind den Gliedern und Bewegungen von Tieren nachgebildet, aber es wäre zu viel gesagt, dass hier Tiere nachgeahmt werden. In „Rainforest“ etwa kommt sowohl in der Musik als auch im Tanz eine eher abstrakte Naturbeobachtung zum Tragen. „Interspace“ entstand 2000 nach der Musik „One 8“ von John Cage (1991). Konzeptionell hat sich gegenüber 1968 wenig verändert, häufig erstarren die Tanzenden zu Skulpturen, meißeln ihre Körper zu organischer Schönheit.

Ein Höhepunkt war ein regelrechter „Pax de deux“, der aber keinen Dialog zeigte, sondern eine, eben zu zweit ausgeführte Figur. So manches – gerade Hebefiguren – geriet auch als fast ironisches Zitat aus dem klassischen Ballettrepertoire. Loren Kiyoshi am Cello spielte seinen Part mit äußerster Intensität und zusammen mit dem „Bühnenbild“ von Robert Rauschenberg – eine mit historischen Versatzstücken bemalte Leinwand – erlebte das Publikum eine fast schon historisch gewordene Epoche der Tanzästhetik des letzten Jahrhunderts.

Beim Beifall war zu spüren, wie stark das Bewusstsein dafür war, einem Ereignis beigewohnt zu haben.Ute Schalz-Laurenze