montagsmaler
Randnotizen einer Woche
: Evolutionssprung im Tierreich

Die Woche über eine kanadische Journalistin, die einen Artikel über das Holocaust-Mahnmal schreibt, durch Berlin begleitet. Die herausragenden Ideen der beiden Künstler Renata Stih und Frieder Schnock, deren Entwurf im Wettbewerb von 1995 nur auf Platz 11 landete und in den zweiten Wettbewerb nicht mehr aufgenommen wurde, werden nun stillschweigend nach und nach in das aktuelle Mahnmalkonzept integriert. Der Entwurf von Stih und Schnock sah eine Busstation mit regelmäßig zu allen wichtigen Gedenkstätten abfahrenden, in wiedererkennbarem Rot lackierten Bussen vor, in denen während der Fahrt ein Informationsprogramm zum Holocaust und zur jeweiligen Gedenkstätte geboten worden wäre. Im aktuellen Mahnmalkonzept finden sich nun, kurz vor Baubeginn, als Gegengewicht zur emotionalen Wucht des Mahnmals vier Kellerräume als „Ort der Information“. Dieser soll möglichst sachlich gehalten sein. „Information“ und „Orte“ sind die Themen, die der Entwurf von Stih und Schnock, nur irgendwie weniger kitschig formuliert, von Anfang an als kategorische Schwerpunkte einer sinnvollen, vorwärtsgewandten Gedenkarbeit erkannt hatte. Man darf gespannt sein, wann im aktuellen Konzept die ersten roten Busse auftauchen.

Am Freitag auf Arte Fellini gesehen und mich gewundert. Nein, er habe nie Probleme mit den Schauspielern gehabt, nicht einmal mit den Diven. Nein, er sei keiner der Künstler, die großartige Wunden vorzuweisen hätten. Ja, wenn er niedergeschlagen gewesen sei, dann sei ihm stets Pablo Picasso im Traum erschienen und habe ihm wieder aufgeholfen. Ja, seine Frau sei genau die richtige Frau für einen Mann wie ihn, nein, er sei nie zu verschlossen oder zu misstrauisch gewesen und habe immer im richtigen Augenblick mit den richtigen Menschen Freundschaft geschlossen. Ja, eigentlich habe er in allem, was das Leben so mit sich bringe, immer großes Glück gehabt. Seine Lieblingsbegriffe waren „das Leben“ und „der Künstler“. Nach jedem Satz lächelte er. Es war unmöglich, ihm nur ein Wort zu glauben.

Kit hatte diese Woche eine Zeitung als Probe-Abo und erzählte von der letzten Seite. Ein Wolf und ein Elch hätten sich in Norwegen in einen Streit verwickelt und so lange miteinander gekämpft, bis sie beide tot umfielen. „Der erste interkulturelle Kampf der Tiere“, sagte Kit. – „Wie meinst du das?“ – „Na, die Tiere entwickeln plötzlich ein Bewusstsein ihrer selbst. Die wissen jetzt vielleicht auch, wer sie sind. Und nun kommuniziert vielleicht der Elch auch mit dem Wolf, und vorher, glaube ich, hätte wahrscheinlich der Wolf den Elch gar nicht richtig wahrgenommen als etwas Rivalisierendes. Vielleicht beginnt da jetzt auch schon so etwas wie Rassismus.“ – „Ein Kampf der Prinzipien. Das Prinzip Elch gegen das Prinzip Wolf.“

Kit lachte. „Genau. Ich finde diese Nachricht viel gruseliger als die Dinge, die sonst immer auf der letzten Seite stehen. Und zwei Tage nach dieser Geschichte kam die von der Löwin, die ein Antilopenkitz adoptierte. Das spricht doch auch von einem Bewusstsein. Wahrscheinlich ist es so, dass im Tierreich gerade was ganz Entscheidendes passiert, und wir merken es nicht.“ – „Ein Bewusstseinssprung bei den Tieren?“ – „Ja, ein Evolutionssprung. Sehr spannend, eigentlich. Dann müsste man ab jetzt ganz andere Tierfilme drehen. Man könnte nicht mehr wie Sielmann einfach mit der Kamera hingehen und mal ’nen Wolf filmen, sondern müsste sich ihm ganz anders nähern. Oder?“ – „Man müsste erst einen Boten schicken.“ – „Und mit dem Wolf verhandeln. Auch darüber, wie er präsentiert werden möchte. Es gäbe ein Präsentationsproblem. Er würde sicherlich bei der Darstellung seiner Person in der Öffentlichkeit mitreden wollen.“ TOBIAS HÜLSWITT