Anni Friesinger wird zur Königin gekrönt

Mit einem Erfolg bei der Mehrkampf-WM in Heerenveen zementiert die bayerische Eisschnellläuferin ihre immense Popularität in den Niederlanden

HEERENVEEN taz ■ Die Königin betrat die Tribüne von Thialf, der sagenumwobenen Eisschnelllaufhalle im friesischen Heerenveen: Alle Augen, alle Kameras waren auf Beatrix gerichtet, wie sie vom Vorsitzenden des Königlich-Niederländischen Eislauf-Verbandes zu ihrem Platz auf der Haupttribüne geleitet wurde, wie sie das Programmheft erhielt. Interessierte Frage der Zuschauer: Cijfert sie mit oder nicht? Schreibt sie die Rundenzeiten mit oder nicht?

Währenddessen betrat der Eislaufadel das Eis. Anni Friesinger, die alte und neue Weltmeisterin im Allround-Vierkampf, ein Wettbewerb, den die holländischen Fans lieben, die mehr als 13.000 Zuschauer in der Halle und das Millionenpublikum vor dem Fernseher. Viele darunter, die schon wieder keine Karte gekriegt haben. So gut wie jeder freute sich über Anni Friesingers Start: „Heerenveen op z’n kop voor Anni – Heerenveen steht Kopf für Anni“, und die, die nicht mehr reinkamen, klagten: „Schade, dass ich nicht dabei bin!“ Bei der Siegerehrung sahen sie die Kanadierin Cindy Klassen mit Silber auf dem Podium, Bronze holte Claudia Pechstein.

Friesinger wird in Holland verehrt: Umjubelt von ihren niederländischen Fans auf der Tribüne lief sie Bahnrekord über 1.500 Meter: 1:56,43 Minuten. Ihre holländische Freundin Tonny de Jong, die sich gerade für den niederländischen Playboy ausgezogen hatte, lief im selben Paar nur hinterher. Dann hagelte es Komplimente für ihre Gegnerin aus Inzell: „Anni ist eine echte Malocherin.“

Henk Gemser, ehemaliger Trainer von Ids Postma, Anni Friesingers Verflossenem und Chefanalytiker des niederländischen Fernsehens, sagte: „Ich kenne Anni sehr gut. Diese Explosion von Freude – das ist die echte Anni. Da vergisst man Salt Lake City. Konzentriert ohne Ende. Das, was Anni macht, ist nicht mehr mit den anderen Frauen – Jennifer Rodriguez, Renate Groenewold, Tonny de Jong. Cindy Klassen – zu vergleichen.“

Anni Friesinger ist auch ohne den erneuten Gewinn des Weltmeistertitels in den Niederlanden schon fast ein Weltstar. Ihre Popularität kennt keine Grenzen. Reporter schmilzen dahin, wenn sie Anni interviewen dürfen – oder auch nur zuhören dürfen. Anni Friesinger erscheine als untypisch deutsch, meinen die Holländer. Während eine Gunda Niemann, Sabine Völker oder Claudia Pechstein nach so vielen Jahren im internationalen Eisschnelllaufzirkus immer noch nicht die Eisschnelllaufsprache Englisch beherrschen, turnt Anni Friesinger ihrer Konkurrenz in dieser Frage etwas vor. Wie es gerade kommt, antwortet sie fließend in Deutsch, Englisch oder Niederländisch. Anni Friesinger ist bei den Holländern die Kosmopolitin aus dem kleinen bayrischen Inzell – ein Kompliment, was nicht jeder Deutsche aus niederländischem Mund zu hören bekommt.

Beim viel zitierten Zickenzoff und Busenstreit hält man sich neutral. Wer die niederländischen Medien liest, kann jedoch eine gewisse klammheimliche Sympathie in all diesen Fragen für Anni, „die ja auch ein bisschen von uns ist“ (Mart Smeets, Grandseigneur des niederländischen Fernsehjournalismus), nicht übersehen. Auch die Trennung von und mit Ids Postma ging in den Niederlanden sehr geräuschvoll vonstatten.

Vor drei Jahren machte Gianni Romme seinem Trainer Peter Mueller den Vorschlag, die deutsche Mittelstreckenspezialistin ins Team zu holen. Mueller wollte nicht, verpflichtete später seine Frau Marianne Timmer und steht am Ende dieser Saison mit seinem millionenschweren Dream-Team vor dem Nichts. Gianni Romme, auf dem Weg zum WM-Allround-Titel, machte einen Wechselfehler, der seinen Gegner Derek Parra zu einer artistischen Einlage zwang – und wurde danach disqualifiziert. Anni Friesinger hingegen hat abgeräumt. Hätte Mueller sie mal vor drei Jahren genommen, dann wäre auch für ihn etwas vom Beifall für die Königin abgefallen. EGON BOESTEN