Unter Ussama-Fans in Saudi-Arabien

Das Schicksal Bin Ladens ist Thema Nummer eins. Frauen spenden Schmuck für den Kampf gegen die USA

DSCHIDDAH taz ■ Meine Schwester rief mich kürzlich an. Es war eines der üblichen Gespräche, sie erzählte von einer Hochzeit in Dschiddah: Welche Cousine sich mit welcher Tante gestritten hatte, wer welches Kleid anhatte, was es zu essen gab. Nichts Besonderes also. Ich hörte, wie meine Schwester nebenbei ihre Fingernägel feilte. Langeweile.

Als ich gerade auflegen wollte, wachte sie plötzlich auf: „Ach, weißt du überhaupt die große Neuigkeit? Er lebt!“ Es war überflüssig zu fragen, wen sie meinte: Ussama Bin Laden, wen sonst? „Eine Freundin der Tanten kam an unseren Tisch und hat es erzählt. Sie war sich ganz sicher. Natürlich haben gleich alle vor Freude angefangen zu weinen.“

Ich konnte es mir vorstellen: Was hatten meine Tanten in den vergangenen Wochen gelitten! Schlechte Nachrichten aus Afghanistan, Gerüchte darüber, dass die Amerikaner kurz davor sein könnten, Gott behüte, „ihn“, wie sie Bin Laden nennen, zu fangen. Mal wurde berichtet, er sei verletzt, auf der Flucht oder vielleicht doch schon tot. Solche Nachrichten führen bei meinen Tanten zu schlimmen Migräne-Anfällen. Und nicht nur bei ihnen: Ussama Bin Laden ist in Saudi-Arabien der Held und kommt im Ansehen kurz hinter dem Propheten Mohammed. So empfinden fast alle Saudis.

Wann immer ich seit dem 11. September meine Tanten getroffen habe, gab es Streit. Mal waren sie in völliger Ekstase. Das war gerade, als die ersten Videoansprachen Bin Ladens im Fernsehsender al-Dschasira ausgestrahlt wurden. Sie hingen an seinen Lippen. „Endlich spricht uns jemand aus dem Herzen“, seufzten sie. Die Anschläge auf das World Trade Center in New York und den Tod unschuldiger Menschen konnten sie natürlich auch nicht gutheißen. Nicht nur, weil sie gerne reisen und das WTC selbst kennen. „Aber andererseits sehen die Amis jetzt mal, wie sich die Muslime in Palästina und Tschetschenien jeden Tag fühlen, wenn da von den Feinden des Islams unschuldige Menschen getötet werden.“

Als der Krieg der USA gegen Afghanistan losging, wurde es ganz schlimm. Meine Tanten zitterten um Bin Laden und wetterten gegen die USA. Später spendeten sie goldene Ringe für den Krieg gegen die Amerikaner. „Aber sagt mal, was die Taliban da mit den Frauen machen, ist doch auch nicht im Sinne des Propheten?“, versuche ich, die Diskussion in rationalere Bahnen zu lenken. „Was weißt du schon vom Propheten, Kind“, bügelt eine Tante ab. „Dass die da den Frauen die Finger abhacken, nur weil sie Nagellack tragen, das ist doch pure Propaganda.“

So wie meine Tanten denken sehr viele Menschen in Saudi-Arabien. Nach dem 11. September kamen diejenigen, die das Attentat ablehnten, gegen die Meinung derjenigen, die dafür Verständnis äußerten oder es befürworteten, nicht an. „Ussama kämpft für den Islam, er ist ein echter Muslim. Endlich jemand, der die Amerikaner bekämpft.“ So dachten viele. In monatelangen Diskussionen, auch mit weniger extremen Verwandten, Freunden und Bekannten, war es nicht einfach, sich eine Meinung zu bilden. „Weißt du, es ist doch klar, die Amis wollen uns doch nur unterkriegen und uns mit diesem Gerede über den Terror einschüchtern“, stellte eine Tante mir gegenüber klar.

Monatelang, ob im Geschäft beim Einkaufen, bei der Arbeit oder auf der Straße, redeten alle über dieses Thema. Es war, als sei eine gewisse Frustration aufgebrochen. In einem Land, das von gesellschaftlichen Traditionen geprägt ist, die Menschen eng in familiäre Strukturen eingebunden sind und angesichts klarer, repressiver Regeln, gibt es wenig Abwechslung, keinen Ausgleich für Körper und Seele. Entweder toben junge Männer ihre Energie in schnellen Autos oder Motorrädern aus, wobei sich auf der „Todesstraße“ durch Dschiddah jeden Monat mindestens vier zu Tode fahren. Oder die Langeweile treibt junge Menschen – meistens Männer – in die Moscheen. In solchen Fällen wird die Religion zum Ersatz für Leere, Liebe und überschüssige Energie.

Von den 19 WTC-Attentätern waren 15 junge Saudis. Eine meiner Tanten erklärt das so: „Schau doch mal, vier Millionen Saudis sind arbeitslos. Und was unternimmt unsere Regierung? Nichts und wieder nichts. Und die wirtschaftliche Lage wird eher noch schlechter.“ Eine Entwicklung, die viele als bedrohlich empfinden. „Dieser Krieg hat mehrere Bedeutungen für uns. Er ist Kampf gegen Ungläubige“, sagt meine Tante und fügt murmelnd hinzu, „aber ich glaube, nicht nur.“ REEM YESSIN