Parteilehrjahr mit Mutti

Das politische Credo von Parteichefin Zimmer: Die PDS könne regieren und zugleich außerparlamentarisch Druck machen

aus Rostock JENS KÖNIG

Parteien können so grausam sein. Am Vorabend des PDS-Parteitags haben Gabi Zimmer und Dietmar Bartsch zu einer Pressekonferenz geladen. Zimmer, die Parteichefin, beginnt: Die PDS gehe als Antikriegspartei, als Partei der sozialen Gerechtigkeit und als Partei für Ostdeutschland in den Wahlkampf. Das werde sie auf diesem Rostocker Parteitag in ihrem Wahlprogramm beschließen. Dann Bartsch, der Bundesgeschäftsführer: Die PDS wolle bei der Bundestagswahl drittstärkste Partei werden. Außerdem verstehe sie sich als oppositionelle Partei. Punkt.

Fragen der Journalisten? Keine. Danke schön.

Nach fünf Minuten ist die Pressekonferenz vorbei. Alles ist gesagt. Zimmer, Bartsch und die Besucher dieser denkwürdigen Veranstaltung könnten jetzt nach Hause fahren. Aber was macht die PDS-Führung? Sie quält ihre Partei – und die Journalisten dazu. Sie lässt ihre griffigen Aussagen zwei Tage lang diskutieren, einschließlich einer sechsstündigen Antragsdebatte zum Wahlprogramm, wo es um so lebensnahe Fragen geht wie die, ob Deutschland noch an diesem Wochenende aus der Nato austritt oder ob die PDS das Militärbündnis in ein paar Jahren nicht lieber gleich ganz abschafft. Oh ja, das ist wahrlich ein Fest für politische Feinschmecker.

Am nächsten Vormittag beginnt die Tortur mit der Grundsatzrede der Parteivorsitzenden. In 75 langen Minuten walzt Gabi Zimmer die drei Grundsätze von Freitagabend aus, und dabei ist noch das geringste Problem, dass die PDS-Chefin großzügig ignoriert, dass seit 2.000 Jahren die Lehre von der wirkungsvollen Gestaltung der Rede allgemein bekannt ist. Das Interessanteste an dem Vortrag ist, dass Zimmer sich die ganze Zeit an einer Frage abarbeitet, die sie selbst gar nicht gestellt hat. Die die ganzen zwei Tage nicht ein einziger Genosse aufwirft, obwohl sie im Raum zu stehen scheint: Was macht die PDS eigentlich mit ihren ganzen schönen Vorsätzen, wenn am Abend des 22. September jemand auf die Idee kommt, die Partei zu fragen, ob sie sich vorstellen könne, mit SPD und Grünen zusammen den schwarzen Stoiber zu verhindern?

Tja, da wäre der böse Geist plötzlich aus der Flasche. Zimmer hat schon mal vorsorglich versucht, ihn wieder einzufangen. Die klarste Antwort auf die Frage hat die Parteivorsitzende in einen merkwürdig defensiven Satz gekleidet: „Jeder in der PDS kann rückhaltlos um Stimmen kämpfen, denn niemand muss Angst haben, gegebenenfalls Bundesministerin oder Bundesminister werden zu müssen.“ Mit dem Begriff der „Angst“ hat Zimmer wohl unfreiwillig zugegeben, was für sie persönlich die Koalitionsfrage am Abend der Bundestagswahl bedeuten würde: eine Katastrophe. Sie kann sich ein Mitte-links-Bündnis nur mittelfristig vorstellen.

Die Gründe dafür benennt Zimmer in ihrer Rede klar: SPD und Grüne sind den Politikwechsel schuldig geblieben. Die Regierung drängt in die neoliberale Mitte. Und sie hat, siehe Afghanistan, Krieg wieder zum Mittel deutscher Politik gemacht. Die PDS-Vorsitzende macht es sich leicht: Damit ein Mitte-links-Bündnis möglich wird, müssten sich SPD und Grüne bewegen. Damit glaubt sie der Frage entkommen zu können, was denn die PDS für ein solches Bündnis anzubieten hätte, beispielsweise in der Außen- und Sicherheitspolitik, wo ihr bislang nicht mehr einfällt, als immer nur zu sagen, wie man die Konflikte dieser Welt nicht löst. Daran ändert auch nicht viel, dass Zimmer in ihrer Rede ohne audrücklichen Parteibeschluss zum ersten Mal die Entsendung von UN-Truppen in den Nahen Osten fordert.

Ansonsten nähert sich die PDS-Chefin der Koalitionsfrage wie Mutti der bösen, feindlichen Welt: Keine Sorge, Kinder, sagt sie, wenn wir regieren, sind wir die erste Partei in der Menschheitsgeschichte, die sich dabei nicht die Finger schmutzig macht. Das hört sich an wie ein leicht aufgefrischtes SED-Parteilehrjahr. Die PDS könne beides, so Zimmer, regieren und zugleich außerparlamentarisch Druck machen. „Der große Vorzug moderner sozialistischer Politik besteht darin“, behauptet sie ernsthaft, „dass sie die Instrumentarien des parlamentarischen Systems nutzen kann und sich keineswegs anzupassen braucht.“

Selbst Dietmar Bartsch, der große Stratege der PDS, haut auf dem Parteitag in dieselbe Kerbe. Opposition, ruft er immer wieder, wir sind die klare Opposition! Die rot-grüne Regierung verspottet er als „Titanic“, und „für diese Titanic stehen wir als Bordkapelle nicht zur Verfügung“. Anders als bei Zimmer, die sich lieber beide Hände abhacken lassen würde, als mit Schröder gemeinsam zu regieren, ist bei Bartsch diese Position nur taktischer Natur. Er weiß, dass der Oppositionsgestus gegenüber der jetzigen rot-grünen Regierung der PDS Stimmen bringt. Ansonsten ist bekannt, dass er notfalls vier Jahre lang von Wasser und Brot leben würde, wenn er nur ins Kanzleramt dürfte, vorausgesetzt, die SPD legte ein einigermaßen akzeptables Regierungsprogramm vor. Bartsch ist der Einzige in der PDS-Führung, der bezüglich der Koalitionsfrage ein Hintertürchen offen lässt. „Man soll nie nie sagen“, pflegt er zu sagen. Nicht zufällig ist im Wahlprogramm nicht von Opposition gegenüber der Regierung, sondern gegenüber der „jetzigen Regierungspolitik“ die Rede.

Helmut Holter sind diese semantischen Feinheiten zu wenig. Der stellvertretende Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern weiß aus eigener leidvoller Erfahrung, dass man aufs Regieren vorbereitet sein muss, auch auf Bundesebene. „Wir sind es nicht“, stellt er ernüchtert fest. „Die PDS gefällt sich in der Verweigerungshaltung.“ Die Partei müsste beispielsweise daran arbeiten, ihre Haltung als Friedenspartei mit außenpolitischem Pragmatismus zu verbinden. „Ich denke mal laut nach“, sagt Holter und denkt laut nach. „Was ist denn, wenn das Bundeswehr-Mandat für Afghanistan ausläuft und Schröder sich einem Irakkrieg der Amerikaner verweigert? Sind dann die Gegensätze immer noch unüberbrückbar?“

Davon war in den quälend langen Grundsatzdebatten natürlich nicht die Rede. Genauso wenig wie von der Zuwanderung. Aber als ein Antrag plötzlich die Landesparteien in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern auf ein Nein zum Zuwanderungsgesetz im Bundesrat festlegen wollte, rotierte die Parteiführung und legte umgehend einen eigenen, entschärften Antrag vor. Am Rande des Parteitags war nämlich durchgesickert, dass die PDS in Berlin und Schwerin bereit sei, dem Gesetz zuzustimmen. So viel zum Thema Opposition. Schröder wird zittern.