Gangsterdrama für die Postmoderne

■ Multimedial: Selbstverliebt greinender Arturo Ui am Altonaer Theater

Es beginnt als Fernsehinterview. Die Manager vom Handelstrust erklären die wirtschaftliche Lage. Die Übertragung auf Bildschirme links und rechts der Bühne verstärkt den multimedialen Eindruck dieses Aufhaltsamen Aufstiegs des Arturo Ui. Das 1941 verfasste Brecht-Stück, das jetzt im Altonaer Theater Premiere hatte, ist eine Parabel auf die Machtergreifung Hitlers. Gezeigt werden Mechanismen der Politik. Die Wirtschaftsbosse versuchen Ui, den Emporkömmling aus der Halbwelt, für ihre Zwecke zu benutzen. Doch am Ende hat Ui nicht nur die Schmutzarbeit erledigt, sondern alle in der Hand.

Regisseur Axel Schneider hat das Gangsterdrama in die Postmoderne transponiert. In der Brechtschen Männerwelt mischen jetzt auch Frauen mit. Keine Maschinenpistolen werden aus Geigenkästen gezogen. Gewalt und Mord kommen clean daher, werden per TV-Übertragung eingespielt. Die Personen haben nichts Gangsterhaftes, sie betreiben Business.

Der einzige, der nicht recht in die feine Gesellschaft passt, ist Ui selbst. Wie ein selbstverliebtes Kind stolpert Schauspieler Ulrich Bähnk dahin. Ist mal gutmütig, spricht leise Drohungen aus und bekommt dann doch einen Wutanfall. Er weint öffentlich wie Bill Clinton, wirkt zerknautscht wie Andreas Möller. Seine Gefährlichkeit ist ihm nur selten anzumerken. Das scheint die Botschaft des Abends zu sein: Ungeheuerliche Dinge geschehen, und keiner merkt es. Die Medien bügeln alles glatt.

Für seine politische Karriere will Ui außerdem lernen, wie man vor der Kamera Haltung annimmt. In Schneiders Version zieht er Videoaufzeichnungen zu Rate. Munter zappt er sich von Tagesschausprecher Wilhelm Wieben zu TV-Talker Johannes B. Kerner. Die erklären von der Leinwand herunter, wie man bei öffentlichen Auftritten sitzt, steht oder geht.

Die Technik und die Einspielungen machen die Aufführung zur teuersten Produktion des Altonaer Theaters. Möglich war sie nur dadurch, dass das Theater letztes Jahr den Kulturpreis eines Wirtschaftsunternehmens bekommen hat. Schneider sprach dann auch vom anspruchsvollsten Stück seiner Intendanz. Die Inszenierung sei heikel in der heutigen Zeit. Ist sie das?

Im Stück ist von Beihilfen für den Hafen die Rede. Das klingt ganz hamburgisch. Im Programmheft wird über die Medienmogule Leo Kirch und Silvio Berlusconi berichtet. Der Anspruch des Abends ist also klar. Doch um vor den Kopf zu stoßen, war die Kritik nicht beißend genug. Fazit: Das Inszenierungskonzept ist eine gelungene Modernisierung. Wenn man es aber auf politische Brisanz abgesehen hat, muss man weniger nett sein. Christian Rubinstein

nächste Vorstellung: morgen, 20 Uhr, Altonaer Theater