Cool intrigante Spiel-Figuren

Entwirrung teilerwünscht: Fünf verknäuelte Shakespeare-Stücke im Thalia Gaußstraße  ■ Von Christian Schön

Tausend Tränen tief – misst das Meer der Liebe, das den Haufen verheulter Taschentücher auf die Bühne gespült hat. Zum Auftakt des Shakespeare-Projekts Versteh mir einer den verrückten Haufen! vom Schauspieltheater-Regie-Studiengang der Universität im Thalia Gaußstraße wurde dieser Tuch-Haufen am Freitag von Jorinde Dröses erfrischender Sommer-nachtstraum-Inszenierung erst einmal aufgemischt und per Windgebläse über die Ebene verteilt.

Dröse hat den Text auf die Hauptliebesgeschichten gestutzt, ihn mit Alltagssprache durchsetzt und dem Zuschauer damit unnötige Schwenks zwischen den Textebenen erspart. Lieber stellt sie dem einsamen Puck eine lispelnde, glitzernde Elfe (Silke Steffen) zur Seite, die sich in ihn verliebt. Und schließlich singt, schreit, flüstert der ganze Haufen verliebt – stimmlich leichtfüßig und amüsant. Die Kombattanten umtanzen und umturteln sich, sie lächeln, rotzen, gestikulieren und treten sich, was das Zeug hält.

Die bewegungsreiche Spielfreude ist bei allen SchauspielerInnen unübersehbar – vor allem bei Markus Reymann (Lysander) und Elisabeth Müller (Hermia) – und trägt das Stück bis zum lyrisch-schönen und einfachen Schluß: Puck liebkost die kleine Elfe im Blütenfeld. Kein Wort. Licht aus.

Viel Gerenne gibt es auch beim zweiten Shakespeare des Abends: Komödie der Irrungen, Julius Jensens Regiearbeit. Doch der Text wird meist lustlos und uninspiriert heruntergespielt. Die Protagonis-ten lachen zu viel selbst – und das schlecht. Bewegung und Sprache sind schlacksig und klischiert. Einige Besetzungen scheinen direkt aus dem Schülerheater zu stammen: ein Goldschmied – notbesetzt mit einer Frau mit aufgemaltem Schnurbart. Der verrückte Dr. Zwick – mit dürren Grabbelfingern, irrem Blick und den Glasbausteinen vor den Augen. Allein Simon Zigah füllt die Rolle des mal mürrisch-grummelnden, mal überheblich-lachenden, aber immer bestechlichen Wachtmeisters (brilliant) aus, wozu ihm sein bisschen Text und wohl dosierte Gesten gereichen.

Nach den spartanischen Kulissen vom Freitag wurden im Samstagabend-Dreiteiler die Bühnenbilder (mit der Bühnenraumklasse der HfbK entstanden) etwas opulenter. So sitzen die Protagonisten von Was ihr wollt in der gedeckt braunen 70er-Jahre-Ästhetik eines Wartezimmers. Höhepunkte, Höhepunkte!!! (Cymbeline) wird von einem überdimensionalen Totenschädel überschattet, den Bühnenhintergrund bildet eine weiße Plane, aus der die Figuren wie aus Cocons schlüpften.

Doch der Reihe nach: Die Regisseurin Sibylle Dudek treibt die Verwirrungen in Was ihr wollt auf die Spitze. Sie ändert alle Namen, verteilt Dreifachrollen, die wichtigs-ten Beziehungsverhältnisse werden im Sprinttempo heruntergespielt. Dadurch bleibt Zeit für das konsequent durchgehaltene Spiel der Akteure im Wartezimmer. Patzige Bemerkungen und ein Orakel verteilender Kaugummiautomat lockern das spannend und genau choreographierte, die Beziehungen anzeigende Stühlerücken der Protagonisten auf.

Zu Beginn von Höhepunkte, Höhepunkte!!! wiederum muss König Cymbeline erst einmal eine Zeichnung anlegen und die Lage mit Spielfiguren nachstellen – doch bevor er sein eigenes Drama wirklich begreift, ist die Geschichte auch schon vorbei. Susanne Reifenraths Spielfiguren-Idee durchzieht übrigens die gesamte Inszenierung. Und auch auf Grund dieser Hilfestellung bleiben die Figuren – trotz verschiedener Intrigen – klar konturiert. Dominanteste Figuren sind der spinnenfingrige Finsterling Cloten/Jackimo (Roger Vontobel) und die überzeugend gespielte Imogen (Nadine Bohse).

Doch während sich die bislang besprochenen vier Inszenierungen angenehm uncool gaben, wirkt Julius Seyfarths Inszenierung mit zahlreichen Lichteffekten und Showelementen zum Schluss eher cool und sonst: poppig: Viel Lärm um Nichts in der Golfball-High-Society. Nette Ideen: ein (echtes!) Auto fährt auf die Bühne, Agentenmilieu, Tontauben schießen, Girlie-Look, ein Gast aus dem Publikum kommen vor. Aber nach Ablauf einer gewissen Zeitspanne ist das eben nur noch medioker-nett: Die Schauspieler spielen oft nebeneinander her, das Zusammenspiel bleibt kühl wie der Eisblock auf der Bühne; Spannung wie in den anderen Stücken will nicht aufkommen.

Lediglich Don Pedro (Eray Egilmez) kann ein paar glänzende Soli hinlegen. Auch der Bruch am Ende des Stücks – auf das komplizierte Intrigengewirr folgen unglaubwürdige Versöhnungen und Liebeserklärungen – versöhnt ein bisschen mit der gewollten Coolness der Golfer-Gesellschaft.