Lob der Korruption

Erst durch die Bestechung wird der Politiker zum menschlichen Wesen

Der Politiker hat keinen Sex, er kennt keine Freunde, er darf keine passenden Anzüge tragen

Politiker sind unstete Leute. Sie wissen genau, wofür und wogegen sie sind, aber da sie auf dem Laufenden bleiben müssen, ändert sich das immer. Was sie vor der Wahl versprechen, sieht nach der Wahl ganz anders aus. In ihren Parteiprogrammen stehen Sätze, die nahezu nichts bedeuten und die Verbindlichkeit von Lyrik haben. Wenn ein Programm zu sehr stört, wird es weggezappt.

Politiker sind sehr vergesslich. Sie sind immer durch den Wind und haben mehrere Termine am Tag. Sie leiden wie verrückt unter Sachzwängen. Ständig passiert was. Rund um die Uhr gibt’s Neuigkeiten. Alles muss er, der Politiker, unter einen Hut bringen, auch wenn er keinen trägt. Jederzeit hat er Bescheid zu wissen, wo zum Beispiel hinten und wo vorne ist. Er schläft schlecht, er liest zu viel in Zeitungen, er hat Stimmungen. Er stumpft ab. Er wird immer wirrer. Er sieht nicht gut aus. Er verachtet sich.

So ist die Lage, und so war sie seit der Erfindung des Politikers vor rund zweieinhalbtausend Jahren immer. Sie wäre komplett hoffnungslos, hätte man nicht seinerzeit als Ergänzung zum Politiker die Korruption miterfunden. Das war auch bitter nötig. Politik wurde so überschaubarer. Sie wurde verlässlicher. Sie wurde geschäftsfähiger. Die Erfindung der Korruption hat die Politik gerettet. Und sie hat auch den Politiker gerettet. Er wurde plötzlich zugänglich. Er zeigte sich von seiner menschlichen Seite. Und was er tat, war berechenbar.

Man muss es auch mal so sehen: Jeder verkauft vorzugsweise sich. Nicht nur die Schwalben am Bordstein, auch irgendwelche Bundeswehrsöldner, die sich gegen Geld sogar selber entschärfen. Nicht nur Formel-1-Piloten, auch diverse Schlittschuhzicken, die eine eigene Peepshow aufmachen. Nicht nur zahllose Singsangsängerinnen, sondern eben auch Politiker, die sogar in komische Parteien eintreten, um ein bisschen was auf die sichere Seite der hohen Kante zu legen.

Dafür nimmt der Politiker viel, wie es korrekt heißt, in Kauf. Er hat keinen Sex, er kennt keine Freunde, er darf aus irgendeinem Grund keine passenden Anzüge tragen. Zehn von neun Leuten würden ihm gern, sollten sie ihm begegnen, die Fresse polieren – der andere ist er selber. Sage keiner, dies geschehe aus Überzeugung, aus Liebe zur Sache, aus Verantwortung. Es geschieht aus splitterfasernacktem Interesse an Geld. Berliner Wirtschaftssenator oder SPD-Oberkellner in Köln wird keiner, der nicht qualifiziert korrupt ist.

Ein Mensch, der nicht bestechlich ist, ist zu allem fähig. Ein Mensch aber, der die Hand aufhält, der Geld annimmt, ist kooperationsbereit, ist freundlich, aufgeschlossen, offen. Er kann aufatmen. Er wird, auch wenn er Politiker ist, ernst genommen, als Partner akzeptiert. Plötzlich passen die Anzüge. Er hat viele Freunde und lernt vielleicht sogar eine Praktikantin kennen.

Gutes tun geht jederzeit umsonst. Helfen kann jeder Depp gratis. Aber schon kleine Schweinereien kosten Geld. Niemand braucht eine Müllverbrennungsanlage, um damit Müll zu verbrennen. Keiner braucht Ärzte, die Einladungen ausschlagen. Politiker, die nicht käuflich sind, sind tote Politiker – oder Kommunisten, was dasselbe ist.

Die Menschheit kann auf drei goldene Erfindungen zurückblicken, ohne die sie nicht wäre, was sie ist: den Geschlechtsverkehr, das Rad und die Korruption. Während aber die ersten beiden Erfindungen gesellschaftlich voll anerkannt, beliebt und längst legalisiert sind, führt die Korruption ein Schattendasein, wird geschnitten. Es ist höchste Zeit, das zu ändern und zu erkennen, wie viel wir der Korruption zu verdanken haben. Und wie viel dem korrupten Politiker, der mitdenkt, der kooperiert und der da ist, wenn man ihn braucht. RAYK WIELAND