jenni zylka über Sex & Lügen
: Schöner mogeln

Push-up-Pants und Wonderbra: Ein bisschen Betrug muss sein

Dass diese merkwürdigen „Push-up-Pants“ sich nicht lange gehalten haben, wundert mich nicht. Mich würde eher wundern, wenn sich Damen (für die diese Art des Strumpfhosenbetrugs offensichtlich gedacht war) freiwillig den Hintern aufpolsterten, ich habe nämlich das Gefühl, dass die Mode der dicken Fake-Hintern seit den Cul-de-Paris-Schleifen-Stoffpopos vorbei ist. Warum auch immer. Mode eben. Heute ist hot, was schon morgen hü ist.

Trotzdem haben diese, ich nenne sie mal „Lügen-&-Betrügen-Klamotten für Frauen“, einen gewissen gesellschaftlichen Wert. Schließlich hat man immer schon überall gestopft, gezuppelt, gezerrt und geflunkert, um sich dem gängigen Schönheitsideal möglichst nahe zu mogeln. Nicht dass ich total von solchen Dingen frei bin, ohohoh, neiheihein, ich habe beispielsweise jahrelang darauf verzichtet, mein Kolumnenfoto zu aktualisieren. Aus reinem Jugendwahn. Aber wenn ich mir vorstelle, ich sei männlich und hetero und zöge so ein für meine niedrigen männlichen Triebe attraktives Etwas erst in meinen Bann und dann langsam aus, und mit jeder Schicht würden quasi auch einige Schichten Körperlichkeit fallen … der Wonderbra … die Push-up-Pants … das Haarteil … die falschen Wimpern … die farbigen Kontaktlinsen … und zurück bliebe ein ganz anderes Wesen, irgend so ein fesch kurzhaariges mit einer Wicki-Figur, dann würde ich mein Verhältnis zu Äußerlichkeiten zumindest noch einmal neu überdenken.

Es gibt ja einen neuen BH, für den eine – sag bloß! – Blondine momentan plakatwandgroß Werbung macht; der Clou an dem Ding ist, dass man ihn irgendwie in der Mitte zusammenschnüren kann, und dann ist der Busen ganz woanders und sieht auch völlig anders aus. Würde mich nicht wundern, wenn bestimmte Käuferinnen dieser BHs die Busenherumschieb-Geschichte sogar als eine Art Selbstbestimmungserfolg lesen: Mein Busen gehört mir, und wenn ich ihn heute mal unter dem Kinn tragen will, dann mach ich das eben. Im Gegensatz zu den modischen Sitten der letzten Jahrhunderte sind Mogelpackung-Modemäuse heute ohnehin das, was Frosch-Reiniger im Gegensatz zu Domestos sind: fast schon natürlich. Wenn ich mir vorstelle, ich lebte im Rokoko und müsste 1. mich in ein Fischbeinkorsett einschnüren, 2. mir eine kiloschwere Perücke mit falschen Locken auf den Kopf stülpen und 3. ein neues Mündchen in die Mitte meines eigenen, weiß abgepuderten malen lassen, nur um mal eben ein paar Diener zu instruieren oder die Porzellanmitgiftkiste meiner Schwester tüchtig durchzuschütteln … Zugegeben, das Prinzip ist trotzdem das gleiche. Man kann, wenn man richtig spitzfindig und mit einer gehörigen, altmodischen Portion Waldorf-Feminismus argumentiert, sämtliche Frisier-, Anzieh- und Schminktechniken unter den Aspekt des Sich-schöner-mogeln-als-man-aussieht stellen, nur vielleicht Kajalstiftstriche am Lidinnenrand nicht, die machen bekanntlich alle Augen außer riesengroßen, wunderschönen, indischen kleiner. Das finde ich sehr lustig, denn schließlich sind angeblich sämtliche Menschen biologisch und genetisch auf das Kindchenschema mit den Bambiaugen („biologische Jugend als Zeichen von Gesundheit und Zeugungs- und Brutfähigkeit“) gepolt. Bei Kajalstiftnutzerinnen muss man also unterstellen, dass sie sich die Augen kleiner schminken, um möglichst wenige zeugungswillige Männchen aufmerksam zu machen.

Bei „kleiner schminken“ fällt mir ein, dass einer meiner Lieblingsdamenabende, die meine reizenden Freundinnen und ich regelmäßig zu veranstalten pflegten, unter dem Motto „Unvorteilhaft“ stand. Wir hatten uns alle die Augen kleiner, in meinem Beispiel sogar quasi weggeschminkt, die Haare in alberne 80er-Jahre-Putze gelegt, trugen keine BHs, Leggings und, in einem Fall, eine zu enge Hose, die die Betroffene mit dem Begriff „Camellips“ ankündigte, wodurch sie für immer auf meiner Beste-Sprüche-des-Jahrtausends-Liste verankert bleiben wird.

Nicht erst bei dieser Veranstaltung habe ich übrigens festgestellt, dass ich ohne meinen – im Gegensatz zum Rokoko-moderaten Farb- und Raffkladderadatsch nicht aussehe wie eine AOK-Naturkosmetik-Frau oder eine brasilianische Sambagrazien-Naturschönheit. Eher wie ein freundlicher niedersächsischer Weichkäse. Was im Umkehrschluss vermutlich bedeutet, dass ich mir ebenfalls große Augen und eine Samba-Figur zu mogeln versuche, weil ich genetisch genauso gepolt bin wie alle anderen und total verstrahlt vom landläufigen Schönheitsbild. Aber die Zeit der niedersächsischen Weichkäse wird schon noch kommen. Und hernach werde ich auch so eine ganz Natürliche werden, die aus der Dusche springt, sich in einen Leinensack hüllt, nach einem flüchtigen Griff durch die nassen Haare auf die Straße flitzt und durch die dicke Brille lustig die Herausforderungen des modernen Lebens anblinzelt. Und aus meinen BHs habe ich dann längst sinnvolle Hundebaby-Hängematten gebastelt.

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