USA ködern Partner für den Krieg

Ob die Türkei, die Kurden oder die Monarchen der arabischen Welt – im Falle eines Krieges gegen den irakischen Diktator will keiner leer ausgehen

aus Istanbul JÜRGEN GOTTSCHLICH

Ursprünglich war ein Arbeitsessen in trauter Runde geplant, aber die US-Delegation wollte ein Treffen, das dem Anlass angemessen war. Wohlwissend, wo in Ankara die Entscheidungen fallen, bestand US-Vizepräsident Dick Cheney zum Abschluss seiner Fact Finding Mission durch die Anrainerstaaten des Irak auf einem gesonderten Termin mit dem türkischen Generalstabschef Hüseyin Kivrikoglu. Denn während die türkische Regierung, allen voran Ministerpräsident Ecevit, im Vorfeld des Besuchs mehrfach erklärt hatte, es gebe weder die Notwendigkeit noch den Nutzen einer militärischen Intervention im Irak, man befürchte vielmehr eine neue Eskalation der Gewalt und der Spannungen in der gesamten Region, ist von der Militärspitze nicht bekannt, wie sie zu einem Angriff auf den Irak steht.

Noch während des Golfkrieges, den George Bush Senior 1991 führte, trat der damalige Generalstabschef aus Protest gegen Präsident Özal zurück, weil dieser die USA in dem Krieg aktiv unterstützte. Damals galt für das türkische Militär noch die Maxime, sich aus den Händeln im Ausland herauszuhalten, weil man im eigenen Land ja genug zu tun hat. Mittlerweile ist das türkische Militär jedoch, ähnlich wie die Bundeswehr, an etlichen Auslandseinsätzen von Nato und UNO beteiligt. Es steht, obwohl das offiziell bestritten wird, bereits mit einem Bein im Irak. Nachdem die türkische Armee in den letzten Jahren zur Verfolgung der kurdischen Guerillabewegung PKK mehrfach mit zehntausenden Soldaten im Nordirak einmarschiert war, ist es in der Türkei ein offenes Geheimnis, dass ein Teil der Truppen zur Sicherung fester Stützpunkte im Nordirak geblieben ist.

Für Cheney dürfte aber vor allem von Interesse gewesen sein, was die türkischen Militärs von den irakischen Kurden halten. Obwohl die beiden großen kurdischen Parteien im Nordirak, die Demokratische Partei Barsanis und die Patriotische Union Talabanis, mit der türkischen Armee gemeinsam gegen die PKK gekämpft haben, misstraut Ankara deren politischen Zielen. Letztlich, davon ist die türkische Militärspitze nach wie vor überzeugt, wollen die Kurden ihren eigenen Staat, dessen Grenzen dann weit in die heutige Türkei hineinreichen sollen. Dass will man in Ankara in jedem Fall verhindern. Andererseits scheut man die politischen, militärischen und materiellen Kosten, die eine regelrechte Besetzung des Nordirak mit sich bringen würde.

Kurden als Fußvolk verheizt

Nicht ganz zufällig reiste gestern auch der irakische Kurdenführer Jelal Talabani in Ankara an, um im Bedarfsfall für Gespräche zur Verfügung zu stehen. Die Kurden haben ja bereits im Anschluss an den Golfkrieg mit Bush Senior schlechte Erfahrungen gemacht und befürchten jetzt, in einem neuen Krieg von den USA als Fußvolk verheizt und anschließend wieder fallen gelassen zu werden. Deshalb ist ihre offizielle Position: Sie werden sich an dem Konflikt nicht beteiligen, so lange nicht klar ist, wie die Alternative zu Saddam Hussein aussehen soll. Gegenüber der arabischen Zeitung al-Hayat sagte Talabani jedoch, er sei überzeugt, dass die USA den Irak angreifen werden, weil sich die Meinungsverschiedenheiten nicht auf die Rückkehr der Waffeninspekteure beschränkten. Talabani sagte, die Kurdenparteien hätten von US-Außenminister Colin Powell die schriftliche Zusicherung, dass die USA die „territoriale Integrität“ der irakischen Kurdengebiete erhalten und den Kurden auch zukünftig ihren Anteil an den irakischen Öleinnahmen garantieren würden.

So wie die irakischen Kurden sich öffentlich gegen einen Angriff aussprechen, sich aber gleichzeitig hinter den Kulissen darum bemühen, im Falle eines Krieges selbst nicht leer auszugehen, dürften auch alle anderen arabischen Staaten einschließlich der Türkei mit Cheney gedealt haben. So sehr die Monarchen in Saudi-Arabien, Jordanien und den Golfstaaten auch darauf gedrängt haben, die USA möchten sich zuerst und vor allem darum kümmern, dass der Krieg zwischen Israelis und Palästinensern mit einem israelischen Rückzug und der Ausrufung eines palästinensischen Staates beendet wird, so wenig werden sie sich hinter verschlossenen Türen für Saddam Hussein stark gemacht haben. Der irakische Diktator gilt als unberechenbar und als gefährliches Vorbild für die arabischen Massen, der es als einziger wagt, den ungeliebten Amis die Stirn zu bieten. Für alle diese Potentaten ist der Preis für eine Unterstützung des Krieges erst einmal die Sicherung ihrer eigenen Macht.

Auch in der Türkei wurden in den letzten Tagen mehr und mehr Stimmen laut, die darauf hinwiesen, dass, wenn ein Krieg ohnehin nicht zu vermeiden sei, man lieber das Beste daraus machen solle, statt sich mit den USA zu überwerfen. „Lasst uns die andere Seite der Medaille anschauen“, forderte der Anchorman von CNN-Türk, Mehmet Ali Birand, seine Landsleute gestern auf. Wie viel besser stünde die Türkei da, könnte man mit dem Irak wie mit einem normalen Land Handel treiben. Wie viel besser wäre es für die gesamte Region, wenn nach einem kurzen Krieg ein demokratischer Irak entstünde? So mancher türkischer Stratege hegt darüber hinaus noch eine andere Hoffnung, die erst vor einigen Wochen wieder wachgerufen wurde. Das Ergebnis eines Irak-Krieges, an dem die Türkei sich aktiv beteilige, so US-Berater Richard Perl, könnte ein türkischer Zugriff auf die Ölquellen in Kirkuk und Mossul sein.

Blair zu Besuch bei Bush

Ob es wirklich um Köder dieser Größenordnung geht, wird man erst am Ende eines Krieges wissen, den – allen öffentlichen Beteuerungen zum Trotz – die Regierungen in der Region längst für unvermeidlich halten. Während Saddam Hussein noch mit einer limitierten Einreiseerlaubnis für Waffeninspekteure, am liebsten solche aus arabischen Bruderländern, kokettiert, lässt George W. Bush keine Gelegenheit aus, seinen Kriegswillen zu unterstreichen. Der wichtigste und der kippeligste Allianzpartner wurden jetzt zur persönlichen Absprache sogar auf die Privatranch nach Texas geladen. Anfang April wird der britische Premier Tony Blair anreisen und danach der saudische Kronprinz Abdullah. Nach Informationen der New York Times hat der Saudi die Einladung von Dick Cheney angenommen. Die öffentliche Drohkulisse wird dann im Rahmen der UN-Verhandlungen mit dem Irak aufgebaut, bei denen im Mai über eine Verlängerung des Embargos und des Öl-gegen-Lebensmittel- Programms entschieden werden muss. Wenn Saddam erwartungsgemäß die Herausforderung annimmt, dürfte es im Herbst zum Krieg kommen.

Cheney-Besuch in Jerusalem: SEITE 10