Keine Mitleids-Frage. Nirgends

■ Andreas Bode inszeniert Wolfram von Eschenbachs Parzival auf Kampnagel

Die Suche nach Liebe und Glück kann im vorrübergehend totalen Kitsch enden – oder im Ausstieg aus der perfekten und anforde-rungsfreien Welt, wie es im Film Truman Show vor einigen Jahren zu sehen war. Zu ersterem neigt Wolfram von Eschenbachs Vers-epos Parzival (verfasst 1200-1210), eine Mischung aus Märchen, Grals- und Artus-Sage, das Andreas Bode für seine Regie-Diplom-Inszenierung auf Kampnagel ausgewählt hat.

Wenn Bode die Geschichte des Parzival erzählt, klingt das wie eine Tragödie: Parzival, von seiner Mutter weltfremd aufgezogen, zieht in die Welt, vergewaltigt eine Frau, tötet einen Ritter wegen seiner Rüs-tung und fällt schließlich bei der Artusrunde in Ungnade, weil er den heiligen Gral nicht findet. Dabei hätte er dem siechenden Gralskönig nur eine einfache Fragen stellen müssen: „Was fehlt dir?“ – die sogenannte „Mitleidsfrage“. In den hohen Erwartungen und dem utopischen Gerechtigkeitsglauben der Artusrunde sieht der Regisseur den „Opportunismus einer Gesellschaft“, die Parzival fallen lässt, als er die Erwartung nicht erfüllt. Bei Eschenbach erhält Parzival zwar eine zweite Chance, die er nutzt, doch Bode will dieses illusionistische Konstrukt des Autors – Parzivals Wandlung – nicht fortsetzen. Vom ewigen Leben, das der Gral verspricht, will sein moderner Parzival deshalb nichts wissen. „Der Gral hat (für mich) sehr wenig mit Freiheit zu tun. Mein Parzival sucht kein Leben ohne Sterben, kein ewiges Glück. Denn ewiges Leben ist der Tod des Lebens.“

Auch das Bühnenbild von Nanette Zimmermann und die Kostüme Gwendolyn Jenkins' nehmen die Illusion in ihr Konzept auf. So ist an den Kleidungsstücken zu erkennen, aus welchen Teilen sie zusammengesetzt wurden: Rohe, nicht zeittypische Materialien und moderne Schnitte kombiniert Jenkins zu „mittelalterlichen“ Kleidern. Und auch die Theater-Illusions-Welt, orakelt Bode, werde er zerbröckeln. Das Fehlen innerer Dramatik der Figuren war zu Beginn der Proben mit den elf jungen SchauspielerInnen allerdings prob-lematisch. Man dürfe die Eschenbach-Figuren, die von tradierten Benimmregeln (um die Gunst einer schönen Frau werben, nicht zu viele Fragen stellen) geleitet werden, sagt Bode, nicht mit psychologischer Logik füllen. Das Drama bestehe vielmehr gerade in dem gehorsamen Befolgen oder Missverstehen eben dieser Regeln. Dieser Gedanke führt zu einer weiteren zentralen Frage für Bode: „Was bringt es zu lernen, und was lernt man durch eigene Erfahrung?“ Er sieht Parzival als „Autodidakten“, der selbst lernt zu entscheiden und sich nicht blind dem Erwartungsdruck einer Gesellschaft ergibt.

Welchen Ausgang kann die Grals-Geschichte aber alternativ nehmen? (In Lewis Carrolls The Hunt for the Snark endet die Suche mit dem Verschwinden des Finders, Monty Pythons Die Ritter der Kokusnuss mit dem berühmten Filmriss...) Denn auch wenn man um die gesellschaftliche Determination eines Menschen weiß, kann man sich nicht an Eschenbachs Heile-Welt-Ideal orientieren. Bode zeigt seinem Parzival eine völlig andere, überraschende Art, sich gesellschaftlichen Vorgaben zu entziehen. Christian T. Schön

Donnerstag, 21. bis Sonnabend, 23. 3., jeweils 19 Uhr, Kampnagel (k2)