Verwischte Grenzen

Große Mitteilungslust mit einer Prise Narzissmus: Selten gezeigte Filme des Fotografen Ed van der Elsken im Metropolis  ■ Von Stefanie Maeck

Auch dokumentarische Kameras können sich verlieben. Wenn sie ihrem Objekt ganz nahe rücken, dann wird aus diesem Objekt eben auch ein Subjekt. Und gerade dieses Changieren zwischen den beiden darstellenden Polen von Identifikation und Distanz, zwischen Gefühl und Argument, ergibt in Ed van der Elskens Filmen – jetzt im Metropolis zu sehen – eine provozierende Spannung.

Als der Fotograf zu Beginn seines Films Die vernarrte Kamera die Niederkunft einer Frau filmt, gibt es beides: einerseits die Identfikation mit deren Schmerzen, andererseits die Distanz und einen geradezu professionellen und fanatischen Enthusiasmus, der nur noch abbilden und den richtigen Moment erwischen möchte. Unruhig wechselt die Kamera so von einem Ort zum nächsten, zeigt Ed die Frau, den zuckenden Bauch in den Wehen und wieder den involvierten Künstler. Das permanente Knipsen, das Der-Frau-Zuleibe-Rücken, ihr schweißgebadetes Gesicht, der blutige Embryo und die schwitzende Neugier des Fotografen lassen den Betrachter nicht unbeteiligt. Empörung, Abwehr, Ekel und Sympathie halten sich die Waage.

Ed van der Elsken blickt nach dem Geburtsakt selber glücklich und erschöpft in die Kamera, seine Haare sind zerzaust, als wäre er es, der gerade mühsam ein Kind zur Welt gebracht hat. In gewissem Sinne hat er das ja auch. In seinen Filmen fehlt nie die gehörige Portion Narzissmus und die Faszination für das eigene Werk, die vielleicht auch die Bedingung dafür sind, dass man sich so sehr mit Bildern und ihren Spiegelungen beschäftigt. Kein Wunder also, dass die Meinungen über die Filme von Ed van der Elsken, dem eher unbekannten „enfant terrible“ der holländischen Fotoszene, unter Krititkern sehr auseinander gehen.

Aber auch wenn man dem Künstler nun die narzisstische Komponente seiner Arbeiten vorwirft, kommt man doch nicht umhin zu sehen, dass er stets einen einheitlichen Gestus in der Porträtierung der Welt und seiner Neugierde auf sie durchgehalten hat. Das heißt: Auch für ihn selber gab es nie Ausnahmen. Nicht nur, dass er die Grenzen von Arbeit und Privatleben für fast alle seine Arbeiten durchlässig gemacht hat: Er zeigt uns ganz realistisch seine Frau und ihren nackten Körper, seine Kinder, die Nachbarn und das Viertel. Er erzählt in seinen Bildern gleichermaßen von erotischen wie von beruflichen Abenteuern. Auch seinem eigenen Sterben schaut der Künstler nur folgerichtig mit einer gnadenlos berichtenden Haltung zu. Seine Krebserkrankung verfolgt er in dem letzten Film Bye über den Blick in den Spiegel – und richtet den Fokus auf den langsamen Verfall seines eigenen Körpers.

Statt von Narzissmus könnte man deshalb auch von einem gewaltigen Drang zur Mitteilung sprechen. Von einer unerschöpflichen Faszination für die großen Themen des Lebens und des Alltags, die, um porträtiert zu werden, enttabuisiert werden müssen. Jedes Foto erzählt für Ed van der Elsken eine Geschichte. Eine Diaserie wird gegen das Licht gehalten, und der Film entschwindet mit jedem weiteren Bild in eine neue Ferne. Gerade in solchen Sequenzen stellt Ed van der Elsken seine Arbeit mit und an den beiden Medien aus. Seine Filme erzählen von dem Versuch, die Grenzen zwischen Film und Fotografie aufzuribbeln, aber auch davon, ihre Unterschiede genauer auszuloten. Oft scheint dies auf einen Unterschied von Statik und Dynamik hinauszulaufen. Immer wieder bekommen die Filme durch Fotoarbeiten eine Zäsur, die die Geschichte auf eine andere Weise weitererzählen, die sozusagen den narrativen „Rahmen“ gleichzeitig sprengen und erweitern.

Wie filmt nun aber ein neugieriger Fotograf die Welt? Ganz unterschiedlich, lautet die Antwort. In seinem Stadtporträt Ein Fotograf filmt Amsterdam stellt der Künstler die Kamera in der Fußgängerzone seiner Heimatstadt auf und freut sich sichtlich über Reaktionen. Leute winken, strecken die Zunge heraus oder schauen bewusst und genervt weg. Andere wiederum bemerken die Kamera gar nicht und schlurfen weiter ihres Weges. Dieses Element kehrt auch in anderen Filmen wieder. Einige Szenen wirken bei Elsken unmittelbar und, wenn man den Kampfbegriff aus der Schublade ziehen möchte, „au-thentisch“. Wenn zum Beispiel Eds kleine Tochter auf dem Jahrmarkt im Karussel sitzt und selbstvergessen an ihrem Eis schleckt, dann hat das ein geschicktes Auge unauffällig verewigt. Andere Situationen wiederum sind absolut inszeniert – allen voran natürlich der unvermeidliche Schuss in den Spiegel zum Zwecke der Selbstporträtierung.

Die Arbeiten Ed van der Elskens haben selbstverständlich Stärken und Schwächen. Sie rufen gemischte Gefühle hervor, und genau darin liegt auch ihre Kraft, die manchmal aus dem Gegenüberstellen sehr verschiedener Bilder herrührt. Doch leider sind die Arbeiten, besonders die filmischen, hierzulande fast unbekannt. Deshalb zeigt das Metropolis-Kino eine Reihe von Filmen des Fotografen.

Donnerstag, 21. 3., 19 Uhr (Die vernarrte Kamera und Willkommen im Leben, lieber Knirps) + 21.15 Uhr (Willkommen ... Fortsetzung und Ein Fotograf filmt Amsterdam), Metropolis