in fußballland
: CHRISTOPH BIERMANN über Yves Eigenrauch

Der ganz andere Profi

Niemand möchte gerne missverstanden werden, auch er macht sich so seine Gedanken darum, vielleicht falsch rüberzukommen. Weshalb Yves E. etwas enttäuscht war, dass ich unser Gespräch eher als Interview präsentieren wollte. Dann würde seiner Darstellung doch mehr Platz eingeräumt, versuchte ich ihn zu überzeugen. Nein, das gefiel ihm nicht. Er bevorzugt es, dass über ihn geschrieben wird. Wahrscheinlich, so dachte ich hinterher, weil dann die anderen diese Missverständnisse zu verantworten haben. Und leicht zu verstehen ist er nicht. Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass er ein Rätsel ist. Er mir und er sich selbst auch.

Yves Eigenrauch hat in den letzten zehn Jahren 229 Bundesligaspiele für Schalke 04 gemacht und dabei zwei Tore geschossen. In zwei berühmten Spielen gegen Inter Mailand hat er den großen Ronaldo ausgeschaltet. Daher wurde er zur Nationalmannschaft eingeladen. Dort hat er sich bei einer Pressekonferenz von den Journalisten Fremdwörter erklären lassen. Er hat die Taktikzeichnungen aus Mannschaftsbesprechungen seines Trainers künstlerisch bearbeitet, seltsam verwischte Fotos gemacht und schreibt alle zwei Wochen in dieser Zeitung eine mitunter rätselhafte Kolumne. Er trägt eine auffallende Brille. Er hat freundschaftliche Kontakte zur Schalker-Fan-Initiative und engagiert sich gegen Rassismus im Fußball und anderswo. Er hat einen Knorpelschaden im Knie und kann inzwischen nicht mehr Fußball spielen.

Schön ist es, wenn man sich an die Fakten halten kann. Im Fall von Yves E. schreien sie jedoch geradezu danach, interpretiert zu werden. Dabei entsteht zwangsläufig das Bild vom anderen Profi. „Der andere Profi“ ist die Projektionsfläche „des anderen Fußballfans“, der davon träumt, dass auf dem Rasen einer herumläuft, der auf eine Weise anders ist, wie er selbst es auf den Rängen ist. Ein Kicker, der die gleichen Bücher liest, Musik hört, Dinge wahrnimmt und bewertet, also nicht nur die Bild-Zeitung liest, Billig-Techno hört, auf dicke Titten steht und Stefan Raab lustig findet, wie es der Nebenmann im Stadion tut.

Zweifellos ist Yves E. der andere Profi. Für Projektionen ist er jedoch ungeeignet, denn er ist der ganz andere Profi. Das fängt schon damit an, dass er nicht gerne über Fußball redet. Er hat auch nie gerne Fußball gespielt. Kicken im Training war ihm stets ein Spaß, der Rest zu aufregend, bedrängend und mit zu viel Verantwortung behängt. Er behauptet darüber hinaus immer noch, das Spiel nicht zu verstehen. Selbst als er noch auf dem Platz gestanden hat, mochte er darüber keine Auskunft geben, weil er nur seinen Ausschnitt mitbekommen hätte. Und Ronaldo? Er hätte gar nicht gewusst, wer das war, behauptet er heute. Ich glaube ihm das sogar inzwischen. Womit es keinen Konsens zwischen diesem anderen Profi und dem anderem Fan geben kann. Denn auch der andere Fan träumt sich in die Fußballwelt hinein, die eben nur eine bessere sein soll. Der andere Profi soll dort sein Agent sein und ihm eine andere Innensicht liefern.

Mit Yves E. ist das nie zu machen gewesen. Er mag sich nicht als Opfer eines repressiven Fußballschweinesystems sehen. Als romantische Künstlernatur etwa, der ein rigides Korsett von Regeln und Vorschriften seine Sensibilität auszuleben verbot. Auf dem Platz stand er sowieso eher in der Traditionslinie hart malochender Hauer oder Stahlkocher, was viel zu einer Popularität beitrug, die ihn eher irritiert und mitunter verlegen macht. Er sagt, dass er ein kauziger Außenseiter in seiner Mannschaft war. Seine Kollegen dürften ihn kaum verstanden, aber gemocht haben. Sie kämpften um Jubel und Geld, Ruhm und Anerkennung. Und er? Er war mittendrin und nicht dabei. Aber ist das wirklich so schwer zu verstehen?

Fotohinweis:Christoph Biermann, 40, liebt Fußball und schreibt darüber