Schinken für Schweinehund

Nach dem 3:1 in La Coruña und dem Erreichen des Champions-League-Viertelfinals nimmt sich Leverkusens Manager Reiner Calmund endlich Zeit, seinen Trainer Klaus Toppmöller zu füttern

aus La Coruña RONALD RENG

Kurz nach Mitternacht machten die Chefs von Bayer Leverkusen schon wieder, was sie am liebsten tun: Trainer Klaus Toppmöller redete über Fußball. Manager Reiner Calmund naschte am Schinken. Das Büffet beim Nachtessen der derzeit besten deutschen Fußballelf im Hotel Meliá María Pita war noch nicht eröffnet, da stand Calmund schon mit einem Teller Vorspeise vor dem mächtigen Bauch in der Ecke, sichtlich in Geberlaune. „Hier, Klaus, nimm auch mal eine“, sagte er und drückte Toppmöller eine Scheibe Schinken in die Hand. Toppmöller nahm und aß. In Gedanken aber war er noch immer auf dem Fußballplatz, wo seine Elf wenige Stunden zuvor eine ihrer feinsten Aufführungen geboten hatte.

Mit fantastischer taktischer Disziplin hatte der Bundesliga-Tabellenführer zum Abschluss der Champions-League-Zwischenrunde den spanischen Spitzenklub Deportivo de La Coruña im Riazor-Stadion 3:1 besiegt und somit als Gruppensieger vor Qualitätsteams wie Deportivo, Juventus Turin und Arsenal London das Viertelfinale erreicht. Dass dieser Klub, der noch nie deutscher Meister war, nun offiziell zu den acht besten Europas gehört, ist beachtlich. Doch Toppmöller konnte nicht anders: Er analysierte schon wieder die wenigen Fehler seiner Elf, und er erzählte, wie er im Training ohne Ball den zentralen Abwehrspielern die Laufwege eintrichterte.

Für einen Trainer wie ihn ist das letzte Spiel nie vorbei, ist das nächste schon wieder losgegangen. Zeit, innezuhalten und das Erreichte ohne Hintergedanken zu genießen, nimmt sich Toppmöller wenig. Es ist der Rhythmus des Profisports, der ihm diese Rastlosigkeit aufzwingt, denn wenn er am Wochenende in der Bundesliga gegen 1860 München verliert, spricht niemand mehr von La Coruña. Doch wer das Match gesehen hat, sollte sich für einmal diesem rastlosen Alltag entziehen, und – egal, ob Bayer in den kommenden Wochen alles gewinnt oder verliert – den folgenden Satz in Stein meißeln: Es gibt wenige bessere Trainer als Klaus Toppmöller. In Deutschland allemal. Auch wenn er das nicht lesen will. „Sie brauchen gar nichts über den Trainer schreiben“, ordnete er, fast panisch, an. „Ich bin fünfzig Jahre alt und will nur meinen Job so gut wie möglich machen. Alles andere ist Käse.“

Die Partie im Riazor war sein kleines Meisterwerk. Bayer stützte sich auf eine bestens geordnete Defensive, Mittelfeld und Abwehr standen so gut gestaffelt, dass Deportivo dazwischen kaum Raum zum Leben fand. „Die Handschrift des Trainers“, erkannte Manager Calmund im Skript des Spiels und ließ sich noch mal durch den Kopf gehen, was er nach all den Problemen mit Toppmöllers Vorgängern Christoph Daum und Berti Vogts für einen Kerl als Trainer erwischt hat: „Toppi, der kleine Schweinehund aus Rivenich“, sagte Calmund: „Immer freundlich, für jeden ein Ohr – und trotzdem jederzeit der Boss.“

In seinem Herzen ist Toppmöller, der scharf denkende Taktiker, noch immer selber Spieler. Am liebsten gibt er den kumpelhaften großen Bruder für seine Profis. Den größten Test in Leverkusen, ob sich auf diese verständnisvolle Art ein Team dauerhaft führen lässt, hat er gerade vor sich: Ulf Kirsten, zwölf Jahre lang Bayers Stürmer Nummer eins, saß wie in den Spielen zuvor auf die Ersatzbank. Taktisch eine richtige Entscheidung, glücklich sah Kirsten deshalb nachts im Hotel noch lange nicht aus. Bayers Erfolg in den anstehenden Wochen wird auch davon abhängen, ob Spieler wie Kirsten die Trainerentscheidungen weiter ohne Aufruhr akzeptieren.

Panathinaikos Athen, FC Liverpool, Bayern München sind die Teams, die am heutigen Freitag in Genf Bayer als Gegner für das Viertelfinale zugelost werden können. „Wir nehmen jeden, ist uns alles egal“, sagte Toppmöller. Die Erwartungen hat Leverkusen in der Champions League bereits übertroffen: „Alles, was für uns jetzt noch kommt, ist sowieso nur noch Schaulaufen.“ Für einen Moment klang es, als könne er wider seine Natur den Erfolg doch kurz genießen. Dann erinnerte ihn der Manager an den Alltag. Im Festsaal Brigantia hatte Calmund seinen Naschteller weggelegt und eröffnete das Büffet: „Die Spieler dürfen leider nicht richtig feiern, die müssen an die Partie gegen 1860 denken.“ Calmund holte Luft: „Deshalb der Auftrag an alle anderen, zu essen und saufen, was sich die Spieler verdient haben. Jetzt geht’s los!“