philipp maußhardt über Klatsch
: Der Glamourfaktor der Regierung

Die Politik lädt die Medien ein, nicht umgekehrt

Manchmal treffe ich meinen alten Freund Carl-Christian Kaiser, der fast 30 Jahre lang für die ehrwürdige Zeit die Bonner Politik verfolgte, und dann schütteln wir zusammen den Kopf. Er schüttelt ihn, weil es ihn anwidert, wie sich heute Politik „verkauft“ und wie distanz- und geschmacklos Journalisten selbst das Privatleben von Politikern durchwühlen. Und ich schüttele meinen, weil ich nicht verstehe, dass er nicht viel mehr aus seinem Wissen damals gemacht hat mit Willy Brandt, den Frauen und all diesen interessanten Sachen.

Richtig angefangen, da sind wir uns einig, hat es mit Gerhard Schröders „Rosenkrieg“. Das Bedürfnis vor allem der privaten TV-Sender und der Boulevard-Medien nach „Vermenschlichung“ von Politik war ja längst heftig, und nur der Common Sense unter den noch amtierenden journalistischen Würdenträgern, an der Haustüre stehen zu bleiben, hatte bis dahin gehalten. Es war Gerhard Schröder, der die Journalisten herein ins Schlafzimmer bat. Nicht umgekehrt.

Seither leben wir in einem neuen Zeitalter. Wir dürfen dabei sein, wenn der Verteidigungsminister seine Freundin in einem Swimmingpool bespritzt, wenn der Außenminister seine Neue auf einem Presseball präsentiert oder wenn sich der Kulturbeauftragte der Bundesregierung in München auf das Standesamt begibt. Man kann gegen das Kabinett Schröder sagen, was man will, aber der Glamourfaktor gegenüber dem Kohl-Regime ist um 100 Prozent gestiegen. Undenkbar, dass der alte, dicke Mann auf eine Meldung reagiert hätte, er färbe sich die Haare. Schröder ließ die Behauptung gerichtlich untersagen.

Die Klatschtauglichkeit einzelner Kabinettsmitglieder unterschiedet sich allerdings erheblich. Wir wollen hier nicht weiter auf den Ruf von Rudolf Scharping eingehen, der übrigens seine Badefotos aus Mallorca auf Lebzeiten sperren ließ. Glücklich, wer noch eine alte Bunte aufgehoben hat. Nach dieser Veröffentlichung bot ich damals Justizministerin Herta Däubler-Gmelin an, sie, wann immer sie es wünsche, zusammen mit ihrem Ehemann Wolfgang in einem Hallenbad ihrer Wahl ablichten zu lassen. Mit Badekappe. Ich habe diesbezüglich nie wieder etwas von der Ministerin gehört, was sie mir nicht unsympathischer machte.

Es gibt Kabinettsmitglieder, die, der Himmel weiß warum, ihr Privatleben noch für ihre Privatsache halten. Die noch nicht begriffen haben, was Politmarketing heißt. Christine Bergmann (Familienministerin), liebt sie den falschen Mann? Renate Künast (Verbraucherministerin), liebt sie überhaupt einen? Und Kurt Bodewig (Verkehrsminister), hat er ein Verhältnis mit einer Schlafwagenschaffnerin? Es gibt nur wenige Hartleibige, die die Antworten darauf nicht begierig lesen würden.

Welches Glück muss der alte Dicke empfinden, wenn er heute Zeitung liest? Seinerzeit hätte noch niemand gewagt, nach seinem wirklichen Verhältnis zu Juliane Weber zu fragen. Oder der hab-ihn-selig Franz Josef Strauß? Der lacht sich auf seiner Wolke doch ins Fäustchen, wenn er daran denkt, wie wild er es getrieben hat … und kein Wörtchen davon in den Blättern. Nur geflüstert hat man damals über die Puffgeschichten, eine schöner als die andere. (Später vielleicht einmal mehr davon.)

Manche meinen, wir seien heute entkrampfter und das sei gut so. Hinter den Funktionsträgern müsse man eben auch „den Menschen sichtbar machen“. Die Wähler hätten ein Recht, ein Menschenrecht darauf, zu erfahren, was für eine Person mit der Politik verbunden ist. Wenn sich also ein Kanzler dreimal scheiden lässt, ist er dann ein verlässlicher Partner in einer Koalition? Ist ein verliebter Verteidigungsminister im Ernstfall einsatzfähig? Und kann ein unglücklicher deutscher Außenminister in Nahost tatsächlich als Vermittler auftreten? Hat nicht immer, auch in der Politik, Erfolg oder Misserfolg einen individuellen sexuellen Hintergrund?

Sie lachen. Aber die Wirtschaftsreformen von Ludwig Erhard kann man nicht davon trennen, dass dieser Mann nachts viel Zeit hatte, um zu arbeiten. Wahrscheinlich hätte er auch lieber etwas anderes getan. Insofern geht es uns also doch etwas an. Ich halte Sie auf dem Laufenden.

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