Der Stolpestein

Über ihn können alle stürzen: Gerhard Schröder (SPD). Edmund Stoiber (CSU). Und die Einwanderer, um die es heute im Bundesrat eigentlich geht. Für einen Tag ist Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) wichtigster Mann im Staat

BERLIN taz ■ Brandenburg, das Land, das in seiner Hymne den roten Adler besingt, der sich aus Sumpf und Sand erhebt, dieses Brandenburg, das es als eigenständiges Bundesland in ein paar Jahren schon gar nicht mehr geben wird – es entscheidet heute im Bundesrat über das Schicksal einer der wichtigsten Reformen der Bundesrepublik in den vergangenen zehn Jahren: das Zuwanderungsgesetz. Manfred Stolpe (SPD), brandenburgischer Ministerpräsident, ist der Stolperstein – für über 7 Millionen Ausländer, die in Deutschland leben und von dem Gesetz in der einen oder anderen Form betroffen sind. Für die Ausländer, die in die Bundesrepublik kommen wollen. Für Gerhard Schröder (SPD), den Kanzler. Und für Edmund Stoiber (CSU), dessen Herausforderer.

Stolpe geht es bei seinem Poker zuallerletzt um die Einwanderer. In Brandenburg leben 2,6 Millionen Menschen, darunter 61.000 Ausländer. Das macht einen Ausländeranteil von 2,35 Prozent. Weniger Ausländer als in Brandenburg leben nur noch in Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und Sachsen-Anhalt.

Stolpe geht es zuallererst um den Bestand seiner Regierung. In Brandenburg regiert eine große Koalition aus SPD und CDU. Die CDU erhielt bei der Landtagswahl 1999 nur 292.634 Stimmen. Das macht einen Anteil an der deutschen Gesamtbevölkerung von 0,356 Prozent. Weniger CDU-Wähler gibt es nur noch in Nordkorea.

Stimmt Stolpe heute im Bundesrat mit Ja, dann ist das rot-grüne Zuwanderungsprojekt Gesetz, Gerhard Schröder der große Gewinner im Showdown mit Edmund Stoiber und die Koalition in Brandenburg vor dem Aus.

Stimmt Stolpe heute im Bundesrat mit Nein oder enthält sich der Stimme, dann gibt es kein Zuwanderungsgesetz, Schröder steht als Schwächling da, der nicht mal alle seine SPD-Ministerpräsidenten im Griff hat, und Stoiber darf sich in der ersten direkten Machtprobe mit dem Kanzler als Sieger fühlen.

Stimmt Stolpe heute im Bundesrat für ein begrenztes Vermittlungsverfahren, was er bislang angekündigt hat, und dieser Antrag scheitert an den unionsregierten Ländern, was zu erwarten ist, dann hat Stolpe sein Gesicht gewahrt und vielleicht seine Koalition gerettet. Über das Gesetz wird anschließend trotzdem abgestimmt, und dann kommt es wieder auf Stolpe an.

Weil Brandenburg auf einmal so wichtig ist, zerren alle an Stolpe. Schröder appelliert an dessen sozialdemokratisches Gewissen. Und lockt ihn mit ein paar Millionen Euro. Es geht für die SPD um eine Vorentscheidung für die Bundestagswahl im Herbst. Jörg Schönbohm, stellvertretender Ministerpräsident von der CDU, appelliert an das Gewissen seines Chefs als Brandenburger Landesvater. Für die Union geht es um die Durchsetzungsfähigkeit ihres Kanzlerkandidaten. Außerdem will sie eine weitere SPD/PDS-Koalition im Osten verhindern, die drohen würde, wenn die CDU in Brandenburg aus der Regierung aussteigt.

Nur eine Gruppe kann schlecht zerren: die Einwanderer. Aber um die geht’s ja auch nicht. JENS KÖNIG

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