Kreuzbergerin, 25, sucht …

Vor 25 Jahren erschien die erste Ausgabe des Stadtmagazins „Zitty“. Lange Zeit das Dickschiff unter alternativen Politmagazinen lebt es heute von Veranstaltungstipps – und Partnerschaftsanzeigen

von ARNO FRANK

25 Jahre. Oder, dem Anlass entsprechend gewichtiger ausgedrückt: ein Vierteljahrhundert. So lange schon gibt es das Stadtblatt Zitty. Und kommt damit wohl endlich in ein Alter, das dem Durchschnitt seiner Wunschleserinnen und -leser entspricht. Knapp 60.000 Leute sind das, die alle zwei Wochen zur Zitty greifen und den Konkurrenten Tip links liegen lassen – oder rechts, wie man’s nimmt.

Nicht mitgezählt sind dabei all jene, die das Heft regelmäßig nutzen, ohne es gekauft zu haben. Weil es ohnehin omnipräsent und immer schon irgendwo herumliegt, zerfleddert in Kneipen, aufgeweicht in Pfützen oder bekritzelt in WG-Küchen. Als gedruckter Schlüssel zur Stadt und ihren vielen Versprechen.

Müsste das Blatt sich selbst annoncieren, unter der Rubrik „Lust & Liebe“, dann könnte dort stehen: „Erfahrene Berlinerin, 25, sucht Partner fürs Stadtleben und alles, was Spaß macht. Nimm mich! Benutz mich!“ Denn benutzt werden will die Zitty: In der aktuellen Ausgabe füllt der redaktionelle Teil 79 von insgesamt 290 Seiten. Service als Marathonstrecke, was auch für den Erfolg des Konzepts spricht: Information als Verheißung.

Die Autorin Christiane Rösinger hat den Berliner Trend schlechthin beschrieben: Es sei „das gemeinschaftliche, unmotivierte Rumstehen in geheimen crazy Underground-locations“. Und diese Szene ist in der Regel so geheim, dass sie leicht zu finden ist – mit der Zitty als Wegweiserin. Adressen aus Musik, Kunst und Kultur, Trödelmarkt, Heiratsmarkt, Lustbörse und papierene Suchmaschine für Babysitter – das Magazin bietet ein Rundum-glücklich-Paket für aktive Stadtmenschen.

Hier zeigt sich die Metropole von ihrer spannendsten Seite. Da sind die Geschichten von verpassten Chancen („3. 3. Roter Salon, Suche die nette Frau aus Florenz – wir redeten über Entführung. Bitte melden!!!“), Geschichten über die Liebe („Schreib mir die ganze Wahrheit. Falls du kneifst, betrachte ich die schöne Liebeserklärung als reinen wertlosen Manipulationsversuch. Very last chance, Chris“) oder auch nur Andeutungen über studentische S-Bahnfahrten („Walkman & Diskurstheorie, S 1 nach Wannsee – tja, musste echt raus. Willste mehr wissen?“). Willste? Und wieso sollen wir noch Berlinromane lesen, wenn die Zitty regelmäßig solche Miniaturen als Fortsetzungsgeschichten druckt?

Als Zitty gegründet wurde, war Berlin noch Insel. Heute ist die Stadt ein mediales Haifischbecken, indem nicht nur Stadtmagazine, sondern auch diverse Tageszeitungen um Marktanteile und urbane Kompetenz ringen. So wurden die Dickschiffe Zitty und Tip mit ihrer Fracht nützlicher Informationen in den fröhlich ravenden Neunzigerjahren erstmals ernsthaft torpediert. Flyer hieß die Info-Broschüre im Handy-Format, die sich besonders dadurch auszeichnete, dass sie allen als überflüssig erachteten Ballast abwarf: die Politik. Eine andere Attacke, der Veranstaltungsguide Ticket, soff 1995 am Kiosk umgehend ab und liegt heute dem Tagesspiegel bei.

Den ehrgeizigen Anspruch wenigstens, neben Service auch politische Publizistik zu betreiben, haben die Zitty-Macher trotz aller Veränderungen aus den Siebzigerjahren ins Jetzt gerettet. Was allerdings immer dann auffällt, wenn’s eng wird: So wollte der damalige CDU-Spitzenkandidat Frank Steffel das Heft vor der letzten Abgeordnetenhauswahl per einstweiliger Verfügung verbieten lassen, weil er auf dem Titel unter der Überschrift „Der Verlierer“ als abschreckender Zombie abgebildet war – dabei hatten die Zitty-Layouter nur ein Foto vom einem Steffel-Plakat verwendet, das wie viele im Wahlkampf Lidschatten, Lippenstift und Nasenring aufgemalt bekommen hatte. Richtig teuer hätte es werden können, als sich der Focus-Chefredakteur Helmut Markwort mit einer schlüpfrigen Karikatur verballhornt fühlte („Ficken, ficken, ficken, und nicht mehr an die Leser denken“) – und auf 50.000 Mark Schadenersatz klagte. Am Ende mussten 15.000 bar bezahlt werden, zu verschmerzen für die damals noch autonomen Blattmacher aus Kreuzberg. 1996 war das.

Zwei Jahre später war die Unabhängigkeit plötzlich dahin. Auf einmal war die alternative Zitty Mitglied einer ehrwürdigen Familie aus Zeit und Wirtschaftswoche. Was war passiert? Nachdem der Tip bereits vom Medienkonzern Gruner + Jahr (Berliner Zeitung) geschluckt worden war, verleibte sich der konkurrierende Holtzbrinck-Konzern (Tagesspiegel) eben die Zitty ein. Besseres Papier, buntere Farben und professionellerer Journalismus waren positive Effekte der Übernahme – wie auch, auf finanzieller Seite, ein höchst pragmatischer Anzeigenverbund aus Zitty und Tip.

Die Ähnlichkeit zwischen den beiden Organen, die den flüchtigen Leser stets verblüffte, hat sich dagegen noch verstärkt. Evangelisch oder katholisch? Macintosh oder Microsoft? Zitty oder Tip? Als Kaufargument haben solche Kategorien schon lange ihre Geltung verloren. Mit Hans Magnus Enzensbergers Theorien zur alternativen Presse freilich hat auch Zitty nichts mehr am Hut. Allen „politischen“ Titelthemen zum Trotz ist vom linken Stallgeruch das regengraue Papier und damit die ökologische Anmutung geblieben. Passend dazu hat mit der aktuellen Ausgabe auch Wolfgang Rügner das Blatt verlassen – der Grafiker und Erfinder des Zitty-Logos war der letzte der damaligen Gründer.

Stolz sind die Zitty-Macher indes auf ihre erschöpfenden Rezensionen. Was an Büchern, Platten, Filmen auf den Markt kommt, wird manchmal leidenschaftlich kritisiert, manchmal aber auch nur mit ätzendem Zungenschlag bemäkelt. Geschenkt. Ein echter Kaufgrund, ein echter unique selling point (um in der Sprache der Verlage zu sprechen, die inzwischen die Gehälter bezahlen) ist allerdings der Humor der Zitty. Gemeint ist weniger die leicht verstaubte satirische Doppelseite Berliner Verallgemeinerte, gemeint sind die beiden berlinernden Schweine „Didi und Stulle“, herrlich prollpsychedelisch aufs Blatt geworfen von Phillip Tägert (Fil). Solange für diese subversiven, geschmackssicheren und sehr berlinerischen Comics noch Platz ist, muss man sich um die Zitty-Redaktion auch keine Gedanken machen.

Es ist sowieso die vielleicht transparenteste Redaktion der Stadt. Man kann ihnen immer bei der Arbeit zuschauen, bei Tag und Nacht, bei Wind und Wetter, von der Plattform des U-Bahnhofs am Halleschen Tor aus.