Wahlkampf unter der Gürtellinie

In Brasilien hat der Kampf um die Präsidentschaftswahl begonnen. Eine Allianz aus Staats- und Medienmacht arbeitet für Exgesundheitsminister José Serra, den Kandidaten des Establishments. Für die Linken kandidiert „Lula“ da Silva zum 4. Mal

aus Porto Alegre GERHARD DILGER

Das Feld im brasilianischen Wahlkampf beginnt sich zu lichten. Zwar findet die erste Runde der Präsidentschaftswahlen erst am 6. Oktober statt, doch bereits jetzt scheint klar, zwischen wem die Entscheidung über die Nachfolge von Präsident Fernando Henrique Cardoso fallen wird. Für die Regierung tritt der ehemalige Gesundheitsminister José Serra an und für die Linksopposition steigt Luiz Inácio „Lula“ da Silva von der Arbeiterpartei PT in den Ring – zum vierten Mal nach vergeblichen Anläufen 1989, 1994 und 1998.

Der unterschiedliche Politikstil der beiden Lager zeigte sich bereits bei der Kandidatenkür. Zum ersten Mal organisierte die PT am Sonntag eine Vorwahl unter ihren Mitgliedern, bei der sich Lula gegen den Senator Eduardo Suplicy mit rund 85 Prozent der Stimmen durchsetzte. Der 56-jährige PT-Ehrenpräsident und ehemalige Gewerkschaftsboss Lula war allerdings einem direkten Schlagabtausch mit Suplicy ausgewichen.

Es wird ein ungleiches Duell. Noch im Februar rangierte José Serra, ein sozialdemokratischer Parteifreund von Präsident Fernando Henrique Cardoso, in den Umfragen weit abgeschlagen unter 10 Prozent. Doch in den letzten Wochen wurde dem blassen Kandidaten des Establishments der Weg nach oben gebahnt.

Zunächst untersagte der Oberste Wahlrat, dass die Parteien bei den zeitgleich stattfindenden Präsidentschafts-, Gouverneurs- und Parlamentswahlen unterschiedliche Allianzen bilden. Bei der extrem zersplitterten Parteienlandschaft bedeutet dies eine Stärkung der Sozialdemokraten, die innerhalb des regierenden Mitte-rechts-Lagers die geschlossenste Kraft darstellen. Größte Verlierer sind die kleinen Parteien zwischen den Blöcken, die gerade dabei waren, auf Bundesebene und in vielen Bundesstaaten unterschiedliche Wahlbündnisse auszuhandeln. Auch die von Lula angestrebte Öffnung der PT hin zur bürgerlichen Mitte wird dadurch schwierig, da die möglichen Koalitionspartner zu flächendeckenden Allianzen nicht bereit sind. Ob der Spruch des Wahlrates Bestand hat, muss jetzt das oberste Bundesgericht entscheiden.

Dann ein Paukenschlag: Am 1. März durchsuchte die Bundespolizei eine Firma von Roseana Sarney, dem Shooting Star der konservativen Regierungspartei PFL. Die Gouverneurin des nordöstlichen Bundesstaates Maranhão und Tochter des Expräsidenten José Sarney war früher als Serra in den Wahlkampf gestartet und hatte plötzlich überraschend als aussichtsreichste Kandidatin des Regierungslagers gegolten. Die Ermittler stießen auf umgerechnet 650.000 Euro Bargeld, die Sarneys Ehemann von „Freunden“ für die heiße Phase des Wahlkampfs bekommen haben will – und auf handfeste Hinweise, dass sich die Firma an der Veruntreuung von Staatsgeldern beteiligt haben könnte. Was das Timing dieser „Enthüllungen“ betrifft, mag jedoch kaum jemand an einen Zufall glauben. Das Unternehmen war zuvor monatelang illegal abgehört worden – offenbar mit Serra-Amigos als Auftraggebern. Die PFL kündigte deswegen die siebenjährige Koalition mit Cardosos PSDB auf.

Der zeitweilige Medienliebling Roseana Sarney hat wohl ausgespielt. Vor allem die Medien des einflussreichen Globo-Konzerns gerieren sich nun ungeniert als Sprachrohre des Gespanns Cardoso/Serra. Ein Geschäft auf Gegenseitigkeit: Letzte Woche griff die staatliche Entwicklungsbank BNDES erneut der hoch verschuldeten TV-Firma Globocabo unter die Arme, womit sich die staatlichen Kredite für das Unternehmen seit 1997 auf 310 Millionen erhöhten.

Otavio Frias Filho, Chefredakteur der linksliberalen Folha de São Paulo, sieht eine „Dampfwalze“ am Werk, die den „offiziellen Kandidaten begünstigt“. Neben Partei und Regierung werde eine „beispiellose Parallelstruktur“ aufgebaut. Und Lula befürchtet nach dem Hauen und Stechen im Regierungslager „den niveaulosesten Wahlkampf in der brasilianischen Geschichte“.