Newroz mit geteiltem Gesicht

In der Türkei entspricht das widersprüchliche Bild der diesjährigen Feiern zum kurdischen Neujahrsfest dem insgesamt sehr widersprüchlichen Umgang der Regierung mit der kurdischen Frage. Frust und Verunsicherung bei den Kurden sind die Folge

aus Istanbul JÜRGEN GOTTSCHLICH

Zwei Tote, etliche Verletzte und hunderte von Festnahmen auf der einen Seite, 300.000 begeisterte Kurden bei einem friedlichen Fest auf der anderen Seite – die Unterschiede hätten nicht krasser sein können. Während das Verbot der kurdischen Newroz-Feiern im südtürkischen Mersin und in Istanbul zu teilweise schweren Auseinandersetzungen und heftigen Polizeiattacken führte, feierten hunderttausende in der überwiegend von Kurden bewohnten Stadt Diyarbakir, trotz strömenden Regens ein rauschendes Fest.

Erstmals seit Kriegsende vor zwei Jahren waren die Feiern zum kurdischen Neujahrsfest in diesem Jahr in fast allen Städten im Südosten erlaubt. Überall blieb es friedlich, auch weil die Polizei erstmals nicht bei jedem Ruf „Freiheit für Öcalan“ gleich Räumpanzer einsetzte. Stattdessen kam die bekannte Popdiva Sezen Aksu nach Diyarbakir, um im Rahmen der von der pro-kurdischen Hadep organisierten Feier ein Konzert zu geben. Sie wurde von mehr als hunderttausend Leuten stürmisch gefeiert.

Zur selben Zeit zeigte das Fernsehen Bilder aus Mersin, die fatal an den Gaza-Streifen oder das Westjordanland erinnerten. Hundertschaften schwer bewaffneter Polizei lieferten sich Straßenschlachten mit tausenden Steine werfenden Jugendlichen. Zwei Demonstranten starben, als ein Räumpanzer sie an einer Moscheemauer zerquetschte. Auch in Istanbul, wo der Gouverneur alle Feiern und Demonstrationen verboten hatte, nahm die Polizei hunderte Demonstranten vorübergehend fest.

Das widersprüchliche Bild der Newroz-Feiern entspricht dem widersprüchlichen Verhalten der türkischen Regierung in der kurdischen Frage insgesamt. Positive Signale werden durch repressive Maßnahmen konterkariert und lassen eine verunsicherte und frustierte kurdische Bevölkerung zurück. Laut der gewöhnlich gut informierten Hürriyet war die Feier in Diyarbakir vor allem einer Intervention des Chefs der kleinsten Koalitionspartei Anap, Mesut Yilmaz, zu verdanken. Die Anap wirbt seit längerem um kurdische Stimmen. Yilmaz ist auch derjenige, der in der Regierung am konsequentesten die Reformen vorantreibt, die zur Annäherung an die EU notwendig sind. So wird auf der einen Seite das Kabinett demnächst Sendungen in kurdischer Sprache im staatlichen Rundfunk und Fernsehen erlauben. Auf der anderen Seite werden Studenten, die an ihren Hochschulen Kurdisch als Unterrichtssprache gefordert hatten, mit teilweise absurden Anklagen überzogen.

Auch die pro-kurdische Hadep, die in allen größeren Städten im Südosten Bürgermeister stellt und am Donnerstag die Newroz-Feiern veranstaltete, steht vor einem Verbot. Dazu kommt die schlechte wirtschaftliche Lage im traditionellen Armenhaus der Türkei. Es ist einfacher, die wenigen Leute mit regulären Jobs zu zählen als die vielen Arbeitslosen. Sollte demnächst noch durch einen Krieg gegen den Irak der halb legale Handel mit irakischem Öl wegfallen, wird den Kurden die letzte Lebensgrundlage entzogen.