Gespaltene Zunge an der Waage

Seinen Vize Schönbohm konnte Stolpe nicht umstimmen. Jetzt will der Ministerpräsident die Vertrauensfrage stellen. Darauf hat die PDS nur gewartet

von LUKAS WALLRAFF

Was tun zwei Männer, nachdem sie sich vor aller Augen widersprochen hatten? Die damit für ein Chaos im Bundesrat sorgten? Kurz standen sie noch beisammen, die beiden Männer, die sich eigentlich so gut verstehen, dann gingen sie getrennte Wege. Während Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) mit seinen Leibwächtern in einem Hinterzimmer des Bundesrats verschwand, stellte sich sein Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) schon selbstbewusst vor die Kameras.

Das passt zu diesen beiden unterschiedlichen Männern, die seit drei Jahren ohne größere Probleme in der großen Koalition zusammengearbeitet hatten. Schönbohm pflegt sein Image als schneidiger Exgeneral, Stolpe gibt den bedächtigen Landesvater. Dass sie trotz des Streits über die Zuwanderung weitermachen wollten, hatten sie immer betont. Aber geht das jetzt noch, nach dem Showdown, nach dem Bruch des Koalitionsvertrags, der bei Uneinigkeit Enthaltung vorsieht?

Schönbohm sagt auch nach dem Eklat im Bundesrat Ja zum Weiterregieren: „Es wäre in Brandenburg niemandem zu vermitteln, wenn die Koalition darüber zerbräche.“ In der Tat hat das Zuwanderungsgesetz so gut wie keine Auswirkungen auf das Land Brandenburg mit seinem Ausländeranteil von 1,9 Prozent. Schönbohm findet deshalb: „Wir sollten die Scherben zusammenfegen und uns aus dem Bundesrat nach Brandenburg verabschieden.“ Aber dort dürfte es jetzt hoch hergehen. Stolpe sprach von einem „absoluten Härtetest“ für die Koalition und kündigte an, im Landtag die Vertrauensfrage zu stellen. Und die Oppositionsparteien wittern ihre Chance – vor allem die PDS, die für den Fall der Fälle sofort bereitstünde. Nach dem geteilten Votum Brandenburgs erwarte er Konsequenzen, so Roland Claus, PDS-Fraktionschef im Bundestag. Seine Partei sei „selbstverständlich nicht unvorbereitet“, falls die Koalition zerbricht und die PDS als neuer Koalitionspartner der SPD in Frage kommt.

Genau davor hatte Schönbohm immer gewarnt – Brandenburg wäre schon das dritte Land mit rot-roter Koalition – und auch im Bundesrat hätten die SPD-regierten Länder dann eine sichere Mehrheit. Trotzdem wollte auch Stolpe lieber mit der CDU weiterregieren. Deshalb bemühte er sich auch bis zum Schluss, noch einen Weg zu finden, den Showdown im Bundesrat zu verhindern und irgendwie einen Vermittlungsausschuss zu erreichen. Erst nachdem der Kanzler deutlich Druck gemacht hatte, beugte sich Stolpe der Parteiräson.

Gegenseitig überrascht haben sich Stolpe und Schönbohm mit ihrem Verhalten nicht. Sie wussten vorher, was der andere tun würde. Wie aus Brandenburger Regierungskreisen zu hören war, ging das vorbereitete Szenario aber nur bis zur Abstimmung – und nicht weiter.

Schönbohm scheint jetzt in der stärkeren Position: Er ist ja hart geblieben und hat in der Brandenburger CDU so gut wie keine Konkurrenz. Hinter Stolpe dagegen scharrt Kronprinz Matthias Platzeck schon mit den Hufen. Und dass Stolpe das „Nein“ seines Vizes nicht zu verhindern wusste, könnte ihm als Schwäche ausgelegt werden.